Entscheidungsstichwort (Thema)
Eigenbedarfskündigung des Wohnungserwerbers bei Erwartung längerer Mietdauer durch den Mieter
Leitsatz (redaktionell)
(aus Wohnungswirtschaft & Mietrecht WuM)
Der Erwerber vermieteten Wohnraums muß sich die Erwartung des Mieters auf den längeren Bestand des Mietverhältnisses zurechnen lassen, wie sie sich aus dem Inhalt des Vertragsverhältnisses des Mieters mit dem Rechtsvorgänger des Käufers erschließen läßt.
Normenkette
BGB §§ 242, 564b Abs. 2 S. 1 Nr. 2, § 571 Abs. 1
Verfahrensgang
AG Marsberg (Beschluss vom 11.11.1992; Aktenzeichen 1 C 174/92) |
Tenor
wird die sofortige Beschwerde der Kläger gegen den Beschluß des Amtsgerichts Marsberg vom 11.11.1992 auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Wert: bis 3.000,– DM.
Gründe
Die Kläger sind Eigentümer des mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks … in Marsberg 1. Die Beklagte war Mieterin sämtlicher in dem Hause gelegenen Räumlichkeiten. Sie bezog das Haus am 01.12.1991. Der Mietvertrag wurde am 12.11.1991 geschlossen. Vermieterin war zu der Zeit die kurze Zeit hierauf, und zwar am 17.12.1991 verstorbene Frau … Sie wurde bei Abschluß des Mietvertrags durch Herrn … vertreten. Im Wege der Erbfolge ging das Eigentum an dem Hausgrundstück mit dem Tode der Vermieterin auf Herrn … über. Der neue Eigentümer verkaufte das Hausgrundstück durch notariell beurkundeten Vertrag vom 12.03.1992 an die Kläger. Bei diesen handelt es sich um den Bruder des … sowie dessen Ehefrau. Die Eigentumsumschreibung im Grundbuch erfolgte am 09.06.1992. Durch Schreiben vom 19.06.1992 erklärten die Kläger der Beklagten die Kündigung des Mietverhältnisses zum 30.09.1992. Als Grund führten sie Eigenbedarf an. Mitte September 1992 erhoben sie Räumungsklage. Am 10.10.1992 zog die Beklagte aus der Wohnung aus. Die Parteien erklärten den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt und stellten widerstreitende Kostenanträge. Durch Beschluß vom 11.11.1992 erlegte das Amtsgericht den Klägern die Kosten des Rechtsstreits auf. Gegen diese Entscheidung wenden sich die Kläger mit der sofortigen Beschwerde.
Die nach §§ 91 a Abs. 2, 577 Abs. 2 ZPO zulässige sofortige Beschwerde ist unbegründet. Nach übereinstimmener Erledigungserklärung hatte das Amtsgericht gemäß § 91 a Abs. 1 ZPO unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen über die Kosten des Rechtsstreits zu befinden. In zutreffender Anwendung dieses Entscheidungsmaßstabes hat es den Klägern die Kosten des Rechtsstreits auferlegt.
Die Räumungsklage versprach keine Aussicht auf Erfolg. Die Beklagte war zur Räumung zum 30.09.1992 nicht verpflichtet, weil die Kündigung nicht durchgriff. Die Kläger handelten gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB), indem sie den von ihnen vorgebrachten Eigenbedarf mit Wirkung zum 01.10.1992 geltend machten. Das Mietverhältnis, in welches sie gemäß § 571 Abs. 1 BGB auf Vermieterseite durch den Eigentumswechsel eingetreten sind, weist besondere Umstände auf, die eine Kündigung mit Ablauf des September 1992 als widersprüchlich zum früheren Verhalten auf Vermieterseite erscheinen lassen. Bei Abschluß des Mietvertrags konnte die Beklagte für die damalige Vermieterin erkennbar davon ausgehen, daß das Mietverhältnis nicht für einen Zeitraum von weniger als einem Jahr bestehen würde. Angesichts der durch einen Umzug regelmäßig verursachten erheblichen Kosten liegt es im offenkundigen Interesse eines Mieters, eine angemietete Wohnung für einen Zeitraum von jedenfalls mehr als einem Jahr zur Verfügung gestellt zu bekommen. Nichts anderes haben die Parteien dieses Mietverhältnisses hier ins Auge gefaßt. In dem Formulartext des Mietvertrags ist durch besonders angefügte Anlage die zwischen den Parteien getroffene Vereinbarung aufgenommen worden, daß die Beklagte das Erdgeschoß des Wohnhauses untervermieten darf. Von einer nur kurzfristigen Vermietung der Erdgeschoßwohnung durch die Beklagte ist in den Vertragsbestimmungen keine Rede. Die Kammer ist der Auffassung, daß die Kläger nach Treu und Glauben daran gehindert sind, die berechtigte Erwartung der Beklagten auf längeren Bestand des Mietverhältnisses durch Kündigung bereits zum 30.09.1992 zu enttäuschen.
Ob die Kündigung auch dann als treuwidrig zu beurteilen wäre, wenn die Kläger der Beklagten von vornherein eine Abstandssumme im Hinblick auf ihre Investitionen in der Wohnung und die durch einen doppelten Umzug innerhalb eines knappen Jahres veranlaßten Mehrkosten angeboten hätten, bedarf keiner Entscheidung. Das Kündigungsschreiben enthält kein entsprechendes Angebot. Verhandlungen über die Zahlung einer Abstandssumme sind erst später geführt worden.
Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Fundstellen