rechtskräftig
Leitsatz (amtlich)
1. Ein auf § 940a Abs. 1 1. Alt. ZPO gestützter Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zur Räumung und Herausgabe einer Wohnung wegen verbotener Eigenmacht kann nicht ohne jegliche Ermittlungen mit der Begründung als unzulässig verworfen werden, der Antragsgegner sei prozessunfähig; das gilt jedenfalls dann, wenn sich aus den vorgelegten Unterlagen Anhaltspunkte dafür ergeben, dass für den Antragsgegner gerichtlich eine Betreuerin bestellt worden sein könnte. Hat die Antragstellerin nach Entdeckung ihres Besitzverlustes alsbald um gerichtlichen Rechtsschutz nachgesucht, kann ihr Antrag auch nicht mit der Begründung wegen zögerlichen prozessualen Verhaltens als nicht eilbedürftig verworfen werden, sie habe die Wohnung zuvor über einen Jahreszeitraum leer stehen lassen und vielleicht gar nicht bemerkt, dass ihr der Besitz schon viel früher entzogen worden sei.
2. Die Berufung ist nach Zustellung des Hinweisbeschlusses zurückgenommen worden.
Verfahrensgang
AG Berlin-Charlottenburg (Beschluss vom 08.12.2021; Aktenzeichen 238 C 226/21) |
AG Berlin-Charlottenburg (Beschluss vom 22.12.2021; Aktenzeichen 238 C 226/21) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin werden die Beschlüsse des Amtsgerichts Charlottenburg -238 C 226/21 – vom 8. und vom 22. Dezember 2021 sowie das ihnen zu Grunde liegende Verfahren aufgehoben.
Die Sache wird gemäß § 572 Abs. 3 ZPO zur erneuten Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Charlottenburg zurückverwiesen.
Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren sind nicht zu erheben.
Gründe
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist gemäß §§ 936, 922, 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere nach § 569 ZPO form- und fristgerecht eingelegt worden. Sie ist auch begründet. Das Amtsgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gemäß §§ 935, 940, 940a ZPO zu unrecht verworfen.
1. Der Entscheidung des Amtsgerichts, der gegen den Antragsgegner zu 1. gerichtete Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung sei bereits mangels Prozessfähigkeit des Antragsgegners zu 1. unzulässig, mangelt es an einer tragfähigen Grundlage. Im Ausgangspunkt zutreffend hat das Amtsgericht sich noch mit Beschluss vom 19. November 2021 dahin positioniert, der – zudem nur auszugsweise vorliegende – vorläufige Arztbrief vom 7. Mai 2021 (vgl. Anlage K8, Bl. 38 f. d. A.) vermöge ebenso wenig wie die diesbezügliche Vermutung der Antragstellerin eine Prozessunfähigkeit des Antragsgegners zu 1. zu belegen. Die Antragstellerin rügt zu Recht als widersprüchlich, dass das Amtsgericht im angefochtenen Beschluss nunmehr von der Prozessunfähigkeit des Antragsgegners zu 1. ausgeht, um den gegen ihn gerichteten Antrag ohne weitere Ermittlungen als unzulässig zu verwerfen.
Das Gericht hat Zweifeln an der Prozessfähigkeit einer Prozesspartei von Amts wegen nachzugehen. Dies hätte dem Amtsgericht vorliegend Anlass geben müssen, die Antragstellerin zur Vorlage der in der Akte fehlenden zweiten Seite des Arztbriefs vom 7. Mai 2021 zu veranlassen, da sich dieser womöglich tatsächliche Anhaltspunkte für eine Prozessunfähigkeit des Antragsgegners entnehmen lassen könnten. Ferner ist auf Seite 3 des Arztbriefes ausgeführt, dass für den Antragsgegner zu 1. eine Frau T… als Betreuerin tätig sei. Dies gibt hinreichenden Anlass, um bei dem örtlich zuständigen Betreuungsgericht anzufragen, ob und in Bezug auf welche Aufgabenbereiche für den Antragsgegner zu 1. ein/e Betreuer/in bestellt ist. Das Amtsgericht hätte der Antragstellerin eine entsprechende Auflage erteilen oder selbst intern bei der Betreuungsabteilung nach einem Betreuungsverfahren forschen sowie dieses gegebenenfalls beiziehen müssen, statt eine Prozessunfähigkeit des Antragsgegners zu 1., das Fehlen eines gesetzlichen Vertreters und eine Unzulässigkeit des gegen ihn gerichteten Antrags schlicht zu unterstellen.
2. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung auf Räumung der Wohnung nach § 940a Abs. 1 ZPO ist auch nicht mit der Begründung zu verwerfen, es fehle vorliegend an der Eilbedürftigkeit zur grundsätzlich verbotenen Vorwegnahme der Hauptsache, mithin an einem Verfügungsgrund. Die Antragstellerin verfolgt einen Anspruch nach § 861 BGB auf Wiedereinräumung des ihr durch verbotene Eigenmacht entzogenen Besitzes. Da ein solcher Anspruch gemäß § 859 BGB sogar im Wege der Selbsthilfe mit Gewalt durchgesetzt werden kann, muss der Gläubiger die Dringlichkeit seines Anliegens nicht besonders begründen; vielmehr rechtfertigt das Vorliegen einer verbotenen Eigenmacht die Vermutung der Dringlichkeit, den rechtswidrigen Eingriff zu korrigieren.
Richtig ist allerdings, dass ein Antragsteller die zunächst für ihn sprechende Vermutung der Dringlichkeit im Einzelfall durch sein prozessuales Verhalten widerlegen kann, indem er seine Rechte nicht hinreichend nachdrücklich und konsequent oder zu zögerlich verfolgt (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 34. ...