Verfahrensgang
AG Bonn (Entscheidung vom 14.02.2012; Aktenzeichen 104 C 653/10) |
Tenor
1.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Grundurteil des Amtsgerichts Bonn vom 14.02.2012 - 104 C 653/10 - abgeändert.
2.
Die Klage wird abgewiesen.
3.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
4.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
5.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Darstellung des Tatbestandes entfällt gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1 ZPO. Da die Revision nicht zugelassen wurde und der für die Nichtzulassungsbeschwerde nach § 26 Nr. 8 EGZPO erforderliche Beschwerdewert von über 20.000,00 Euro nicht erreicht ist, ist ein Rechtsmittel gegen das Urteil unzweifelhaft nicht zulässig.
II.
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung der Beklagten ist begründet. Das Amtsgericht hat der Klage gegen sie dem Grunde nach zu Unrecht (§ 513 ZPO) stattgegeben. Der Klägerin steht gegenüber der Beklagten unter keinem denkbaren Gesichtspunkt ein Anspruch aus übergegangenem Recht (§ 6 Entgeltfortzahlungsgesetz) auf Zahlung von Schadenersatz aus den §§ 7 Abs. 1, 8a, 11, StVG, §§ 249ff. BGB, zu. Die Haftung der Beklagten tritt wegen eines überwiegenden Mitverschuldens der Zeugin T gemäß § 254 Abs. 1 BGB völlig zurück.
1.
Die Frage, ob die Beklagte für die Schäden der Zeugin T verschuldensabhängig aus §§ 831, 823 BGB haftet, weil insoweit die gesetzliche Vermutung eigenen Verschuldens der Beklagten wegen des Fahrmanövers ihres Busfahrers nicht widerlegt worden ist, oder ob eine verschuldensunabhängige Haftung der Beklagten gemäß § 7 Abs. 1 StVG in Betracht kommt, kann hier letztlich dahinstehen. Für eine verschuldensabhängige Haftung spricht, dass der von der Beklagten vorgetragene konkrete Verkehrsvorgang hier letztlich nicht aufklärbar sein dürfte, was insoweit zu Lasten der Beklagten ginge. Sie ist als Geschäftsherrin gemäß § 831 Abs. 1 S. 1 BGB zum Ersatz des Schadens verpflichtet, den ihr Verrichtungsgehilfe dieser in Ausführung der Verrichtung einem Dritten widerrechtlich zugefügt hat. Der Mitarbeiter der Beklagten hat diese Voraussetzungen erfüllt, weil er als angestellter Fahrer deren Verrichtungsgehilfe war und mit seinem Fahrmanöver (Bremsvorgang) eine objektive Ursache für den Sturz der Zeugin T gesetzt hat. Er hat damit den objektiven Tatbestand des § 823 Abs. 1 BGB verwirklicht. Ein festgestelltes Verschulden des Verrichtungsgehilfen ist nicht Voraussetzung der Haftung des Geschäftsherrn. Die Kammer kann aber dahinstehen lassen, ob die Beklagte den nach § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB möglichen Entlastungsbeweis geführt hat, weil bei einer Abwägung des Mitverschuldens der Mitarbeiterin der Klägerin (also der Zeugin T) gemäß den §§ 9 StVG, 254 BGB auch eine Haftung der Beklagten wegen eines nicht widerlegten Verschuldens vollständig zurücktritt.
2.
Der Nachweis des Mitverschuldens der Zeugin T gemäß §§ 9 StVG, 254 BGB, für den die Darlegungslast nach allgemeinen Grundsätzen beim sich hierauf berufenden Schädiger, also der Beklagten liegt, ist aufgrund eines für diese streitenden Anscheinsbeweises erbracht. Die Klägerin hat die dieser Annahme zugrunde liegenden Tatsachen nicht erschüttert.
In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass Fahrgäste in Bahnen und Bussen sich selbst überlassen sind und nicht damit rechnen können, dass sich der Fahrer um sie kümmert (BGH, Urt. vom 01.12.1992 - VI ZR 27/92, NJW 1993, 654). Gemäß § 4 Abs. 3 S. 5 BefBedV ist "jeder Fahrgast [...] verpflichtet, sich im Fahrzeug stets einen festen Halt zu verschaffen." Eine Einschränkung auf stehende Passagiere besteht insoweit nicht, z.B. kann es aufgrund der Querbeschleunigungskräfte in einem Gelenkbus geboten sein, sich zusätzlich sicheren Halt zu verschaffen, um ein seitliches Abrutschen vom Sitz zu vermeiden (OLG Köln, Urteil vom 17.04.1991 - 2 U 173/90, NZV 1992, 279).
Beim Sturz eines Fahrgastes ist prima facie davon auszugehen, dass dieser Sturz auf einer unzureichenden Sicherung beruht. Dies gilt nach der Überzeugung der Kammer nicht nur für stehende, sondern ebenso für sitzende Passagiere. Es handelt sich in beiden Fallkonstellationen um ein einer Typisierung zugängliches Geschehen im Massenpersonentransport. In beiden Konstellationen stellt das Verkehrsunternehmen ein preisgünstiges Transportmittel zur Verfügung, das eine Vielzahl unterschiedlicher, auch von der Ausnutzung des Innenraums durch die anderen Mitreisenden abhängiger Aufenthaltsmöglichkeiten zur Verfügung stellt. Allen Sitz- und Stehplätzen ist eigen, dass sie nicht über spezielle Sicherungseinrichtungen, etwa Dreipunktgurte, verfügen, wie dies im Individualverkehr, etwa durch Taxis, üblich und geboten ist. Dem Fahrer ist es wegen der vorrangigen Verpflichtung, den Straßenraum zu beobachten und auf andere Verkehrsteilnehmer Rücksicht zu nehmen, von Ausnahmen abgesehen weder möglich, noch ist er verpflichtet, zu überprüfen, ob die Fahrgäste im Fahrgastraum über einen festen Halt verfügen oder ob ihre Steh- oder Sitzposition eine Gefährd...