Leitsatz (amtlich)

Ist ein Teil des Gemeinschaftseigentums (hier Gartenfläche) nur über eine Fläche zu erreichen, für die ein Sondernutzungsrecht bestellt ist (hier Hoffläche) unterliegt das Sondernutzungsrechte einer immanenten Schranke, die dazu führt, dass die anderen Eigentümer dieses zum Erreichen der im gemeinschaftlichen Eigentum stehenden Fläche durchqueren können.

 

Verfahrensgang

AG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 15.10.2021; Aktenzeichen 94 C 103/19 (94))

 

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers und Berufungsklägers wird das am 15.10.2021 verkündete Urteil des Amtsgerichts Hanau (94 C 103/19 (94)) unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird bei Meidung eines Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, für jeden einzelnen Fall der Zuwiderhandlung verurteilt,

  • es zu unterlassen, den Durchgangsweg zur hinteren Gemeinschaftsfläche (Fläche hinter dem Hinterhaus) auf dem Grundstück …. zu versperren; und
  • den Klägern den jederzeitigen Durchgang zur hinteren Gemeinschaftsfläche zu gewähren.

Die Beklagte wird verurteilt, das auf der hinteren Gemeinschaftsfläche befindliche, als Terrasse genutzte Betonfundament, zurückzubauen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Anschlussberufung wird zurückgewiesen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz tragen die Kläger zu 45% und die Beklagte zu 55%. Die Kosten des Berufungsverfahren tragen die Kläger zu 65% und die Beklagte zu 35%.

4. Das Urteil und das angefochtene Urteil im Umfang der Berufungszurückweisung sind vorläufig vollstreckbar.

5. Die Revision wird nicht zugelassen.

6. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis 9.000,00 EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

I.

Die Parteien sind die einzigen Mitglieder der WEG …. Die Anlage besteht aus einem Vorderhaus und einem Hinterhaus. Die Kläger sind Wohnungseigentümer der Einheit II, welche die Räumlichkeiten im ersten und zweiten Obergeschoss des Vorderhauses umfasst. Die Beklagte ist Wohnungs- und Teileigentümerin der Einheit I, welche die Einheit im Erdgeschoss des Vorderhauses sowie die Räumlichkeiten des Hinterhauses umfasst.

Zwischen den Häusern liegt ein Innenhof, an dem ein Sondernutzungsrecht zu Gunsten des Eigentümers der Einheit I, hier also der Beklagten, bestellt ist. Die Teilungserklärung lautet: „Dem jeweiligen Eigentümer des im Aufteilungsplans mit Nr. I bezeichneten Teileigentums (Gaststätte) wird das unwiderrufliche Sondernutzungsrecht an der zwischen dem Vorder- und Hinterhaus befindlichen Hoffläche eingeräumt. […] Die Funktion des Hofes als Zugangsweg für Fußgänger die das Vorder- oder das Hinterhaus aufsuchen wollen, bleibt unberührt.”

Hinter dem Hinterhaus befindet sich im Gemeinschaftseigentum eine nicht mit einem Sondernutzungsrecht versehene Gartenfläche. Nach der Baugenehmigung sollten hier Parkplätze vorgehalten werden. Die Teilungserklärung verhält sich zu Parkplätzen nicht. Genutzt wurde die Gartenfläche nie als Stellfläche für Kraftfahrzeuge. Zu der Gartenfläche führt nur der Weg über den Hof. Nachdem ein – in der Teilungserklärung nicht vorgesehener – Anbau am Hinterhaus erfolgte, erfolgt der Zugang durch einen garagenartigen Tunnel, der auf Grund seiner geringen Breite den allermeisten Pkw eine Durchfahrt nicht erlaubt. ….

Mit der 2019 erhobenen Klage, begehrten die Kläger die Gewährung des Zugangs zum Gemeinschaftseigentum hinter dem Hinterhaus sowie eine Entschädigung in Geld wegen entgangener Nutzung der Stellflächen. Ferner begehrten sie den Rückbau einer auf der hinteren Gemeinschaftsfläche in Beton gegossenen Terrasse. Das Amtsgericht hat der Klage nur mit Blick auf letzteres Begehr stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Wegen der Begründung der Entscheidung sowie der Feststellungen der Tatsachen in erster Instanz wird auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.

Mit der Berufung verfolgen die Kläger ihr ursprüngliches Begehren auf Zugangsgewährung und – im Betrag noch erweitert – auf Nutzungsentschädigung weiter. Die Beklagte begehrt mit ihrer Anschlussberufung die Abweisung der Klage insgesamt.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die zulässige Berufung hat zum Teil Erfolg und ist im Übrigen zurückzuweisen (1.). Die zulässige Anschlussberufung hat in der Sache keinen Erfolg (2.).

1.

a.

Den Klägern steht gemäß § 16 Abs. 1 S. 3 WEG ein Recht zum Mitgebrauch des gemeinschaftlichen Eigentums an der hinter dem Hinterhaus befindlichen Fläche zu. Um ihr Mitgebrauchsrecht ausüben zu können, müssen die Kläger zu dieser hinteren Gemeinschaftsfläche gelangen können. Der einzige Weg hierhin führt über den mit einem Sondereigentumsrecht zu Gunsten der Beklagteneinheit belasteten Hof. Zwar schließt das Sondernutzungsrecht grundsätzlich die anderen Eigentümer aus. Unter den gegebenen Umständen des Einzelfalls hat die Beklagte es aber hinzunehmen, dass die Beklagten zum Zwecke des Zugangs zur hinteren Gemeinschaftsfläche die sondernutzungsrechtsbelastete Hoffläche durchschre...

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