Entscheidungsstichwort (Thema)

Verstoß gegen Treu und Glauben bei Räumungsanspruch

 

Leitsatz (amtlich)

Die Durchsetzung des Räumungsanspruchs kann bei Vorliegen besonderer Umstände gegen Treu und Glauben verstoßen.

 

Orientierungssatz

(aus Wohnungswirtschaft & Mietrecht WuM)

1. Überweist das Sozialamt im Rahmen der Sozialhilfegewährung für den Mieter den Mietzins unmittelbar an den Vermieter, handelt es als Erfüllungsgehilfe des Mieters.

2. Das Festhalten an einer durch ein Verschulden des Sozialamts verursachten Kündigung wegen Zahlungsverzugs kann treuwidrig sein.

 

Gründe

(aus Wohnungswirtschaft & Mietrecht WuM)

Die Berufung der Beklagten ist, soweit sie sich gegen die Verurteilung zur Räumung und Herausgabe der von ihr bewohnten Wohnung richtet, zulässig und begründet.

a) Zwar ist die fristlose Kündigung des Klägers v. 7.11.1988 nach § 554 Abs. 1 Nr. 1 BGB begründet. Die Beklagte befand sich zum Zeitpunkt der fristlosen Kündigung mit der Zahlung des Mietzinses für die Monate Oktober und November 1988 in Verzug.

Die Beklagte hat diesen Zahlungsverzug auch rechtlich zu vertreten. Die Mietzahlung ist aufgrund eines Versehens des Sozialamts, das mit Zustimmung der Beklagten im Rahmen der Sozialhilfegewährung an die Beklagte die unmittelbare Zahlung der Miete an den Kläger übernommen hatte, unterblieben. Dieses Versehen des Sozialamts ist der Beklagten jedoch zuzurechnen. Dies läßt sich allerdings entgegen der Auffassung des Klägers nicht bereits aus dem allgemeinen Grundsatz ableiten, daß der Schuldner für seine finanzielle Leistungsfähigkeit einzustehen hat. Denn das Unterbleiben der Mietzahlungen für die Monate Oktober und November 1988 beruhte nicht auf der finanziellen Leistungsunfähigkeit der Beklagten, sondern auf dem Versehen des Sozialamts. Ohne dieses Versehen wäre die Miete trotz Leistungsunfähigkeit der Beklagten gezahlt worden.

Denn das Versehen des Sozialamts ist nach § 278 BGB der Beklagten wie eigenes Verschulden zuzurechnen. Das Sozialamt ist hinsichtlich der Mietzahlung im Verhältnis zwischen den Parteien nach Auffassung der Kammer als Erfüllungsgehilfe anzusehen. Hiermit befindet sich die Kammer in Übereinstimmung mit einem Teil des Schrifttums (Schmidt-Futterer/Blank, Wohnraumschutzgesetze, 5. Aufl., B 159). Soweit Sternel (Mietrecht, 3. Aufl., IV 406, Fn. 118 unter Hinweis auf LG Hamburg, Beschlüsse v. 10.3.1983 - 16 T 2/83 - und v. 12.10. 1983 - 16 T 62/83) eine Erfüllungsgehilfeneigenschaft im Hinblick auf ein Subordinationsverhältnis verneint, folgt die Kammer dem nicht; jedenfalls wenn wie vorliegendenfalls das Sozialamt im Rahmen der Sozialhilfegewährung es im Auftrag des Mieters übernimmt, die von diesem geschuldete Miete unmittelbar an den Vermieter zu bezahlen, muß es im Verhältnis zwischen den Mietparteien als Erfüllungsgehilfe des Mieters angesehen werden, denn die Art der zwischen dem Schuldner und der Hilfsperson bestehenden rechtlichen Beziehungen ist gleichgültig, sie kann auch öffentlich-rechtlich gestaltet sein (vgl. Palandt-Heinrichs, BGB, 48. Aufl., § 278 Anm. 3a m.w.N.).

b) Die Kündigung ist auch nicht durch die nach Rechtshängigkeit des Räumungsanspruchs geleistete Mietzahlung v. 2.12.1988 unwirksam geworden, weil ihr vor weniger als 2 Jahren bereits eine gemäß § 554 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 BGB geheilte Kündigung vorausgegangen war, § 554 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 BGB.

c) Die Durchsetzung des Räumungsanspruchs verstößt je doch gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB). Der allgemeingeltende und auch im Mietrecht Anwendung findende Gesichtspunkt von Treu und Glauben kann, auch wenn an sich die Voraussetzungen des § 554 BGB erfüllt sind, im Einzelfall das Festhalten an einer fristlosen Kündigung als treuwidrig und damit rechtlich unwirksam erscheinen lassen (vgl. Emmerich/Sonnenschein, Miete, § 554 BGB Rn. 12; LG Hannover WM 1983, 263). Vorliegendenfalls liegen folgende besonderen Umstände vor:

Die Beklagte konnte, nachdem das Sozialamt es im Rahmen der Sozialhilfegewährung übernommen hatte, die Mietzahlungen unmittelbar an den Kläger zu überweisen, und ihr dies auch mit der zur Vorlage beim Amtsgericht im Vorprozeß bestimmten Bestätigung v. 25.8.1988 bescheinigt hatte, und nachdem sie seitdem weder vom Kläger etwas über Zahlungsrückstände noch vom Sozialamt etwas über die Einstellung der aufgenommenen Zahlungen gehört hatte, davon ausgehen, die Miete werde vom Sozialamt regelmäßig und pünktlich überwiesen. Sie hatte auch praktisch keine Möglichkeit, dies nachzuprüfen. Es wäre lebensfremd, von ihr zu erwarten, daß sie sich zu Beginn jeden Monats beim Sozialamt oder beim Vermieter vergewissert, ob die Überweisung auch ausgeführt worden ist; eine solche Nachprüfung wäre sicherlich als unzumutbare Belästigung empfunden worden.

Demgegenüber wäre es dem Kläger ein leichtes gewesen, bereits vor Ausspruch der Kündigung entweder die Beklagte auf das Ausbleiben der Zahlungen anzusprechen oder sich durch eine kurze Rückfrage beim Sozialamt nach der Ursache für das Ausbleiben der Mietzahlungen zu erkundigen. ...

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