Entscheidungsstichwort (Thema)
Schadenersatzklage nach Verkehrsunfall: Anforderungen an den Nachweis einer HWS-Verletzung bei fehlender erheblicher Kollision mit signifikanten Geschwindigkeitsänderungen. Schmerzensgeld für leichte HWS-Distorsion
Verfahrensgang
AG Bad Saulgau (Entscheidung vom 20.02.2006; Aktenzeichen 1 C 319/04) |
Tenor
1.
Die Berufung der Beklagten sowie die Anschlussberufung der Klägerin gegen das Urteil des Amtsgerichts Bad Saulgau vom 20. Februar 2006 - Az. 1 C 319/04 - werden zurückgewiesen.
2.
Von den Kosten der Berufung und der Anschlussberufung tragen:
die Klägerin 73%,
die Beklagte 27%.
3.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Streitwert der Berufungsinstanz: 4.800,00 EUR
Tatbestand
I.
Wegen der tatsächlichen Feststellungen wird auf das Urteil vom 20. Februar 2006 des Amtsgerichts Bad Saulgau - 1 C 319/04 - Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
Mit ihrer Berufung trägt die Beklagte vor, das Amtsgericht habe die Kausalität aufgrund der vorliegenden Gutachten unzutreffend bewertet. Das Gericht habe seine Überzeugung hauptsächlich auf die "glaubhaften und nachvollziehbaren Angaben der Geschädigten" gestützt. Demgegenüber habe der Kfz-Sachverständige U. dargelegt, dass der Unfall weit unter der Harmlosigkeitsgrenze von 10 km/h gelegen habe, bei einer Differenzgeschwindigkeit von 2-4 km/h, der das Fahrzeug der Klägerin ausgesetzt gewesen sei. Das medizinische Sachverständigengutachten Prof. Dr. M. habe sich auf Allgemeinplätze beschränkt. Weiter habe der Sachverständige Dr. K. in dem unfallchirurgischen Fachgutachten lediglich nicht ausgeschlossen, dass die von der Klägerin geltend gemachten Verletzungen auf den Unfall zurückzuführen seien. Schließlich sei der Haushaltsführungsschaden unzutreffend bewertet, nachdem die Beklagte lediglich nicht mehr in der Lage gewesen sei, Gartenarbeiten durchzuführen.
Demzufolge beantragt die Beklagte, unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils
die Klage abzuweisen.
Die Klägerin hat Anschlussberufung eingelegt und beantragt, unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils
Zur Begründung der Anschlussberufung führt die Klägerin aus, das Amtsgericht habe bei der Bemessung des Schmerzensgeldes nicht berücksichtigt, dass die Beklagte sich seit "Jahr und Tag vehement gegen eine Regulierung irgendwelcher Ansprüche gewendet habe". Darüber hinaus habe das Amtsgericht außer Betracht gelassen, dass sich die Beschränkungen der Klägerin über die Weihnachtstage und Neujahr hinweg gezogen hätten. Deshalb sei ein Schmerzensgeld in Höhe von 2.500,00 EUR angemessen.
Bezüglich des Haushaltsführungsschadens verbleibe es bei der erstinstanzlichen Berechnung. Demzufolge sei ein weiterer Haushaltsführungsschaden in der mit der Anschlussberufung begehrten Höhe gerechtfertigt.
Entscheidungsgründe
II.
Die Berufung der Beklagten und die Anschlussberufung der Klägerin sind zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Die Feststellungen des Amtsgerichts sind nicht zweifelhaft im Sinne von § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO; auch Rechtsfehler liegen nicht vor.
A: Zur Berufung der Beklagten:
Das Amtsgericht hat in dem angefochtenen Urteil zu Recht bejaht, dass der Klägerin der ihr nach § 286 ZPO obliegende Nachweis gelungen ist, durch das streitgegenständliche Unfallereignis vom 15.09.2003 eine leichte Distorsionsschädigung der HWS erlitten zu haben. Das Amtsgericht hat ihr deshalb mit zutreffenden Gründen ein Schmerzensgeld sowie einen Haushaltsführungsschaden zugesprochen.
Im Einzelnen:
1.
Nachdem streitig ist, ob die Klägerin bei dem Unfall eine HWS-Verletzung erlitten hat, hat sie für diese Primärverletzung im Sinne von § 823 BGB, § 7 StVG den Vollbeweis gemäß § 286 ZPO zu führen. Ein Anscheinsbeweis kann allenfalls bei einer erheblichen Kollision mit signifikanten Geschwindigkeitsänderungen angenommen werden, die hier unstreitig nicht vorliegt.
Für die tatrichterliche Überzeugung ist damit ein für das praktische Leben erhobener Grad von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet, erforderlich (§ 286 ZPO). Die vom Amtsgericht insoweit vorgenommene Beweiswürdigung ist nicht zu beanstanden. Mit der durchgeführten Beweisaufnahme lässt sich der erforderliche Grad von Gewissheit für die tatrichterliche Überzeugungsbildung gewinnen. Die Beweiswürdigung des Amtsgericht hält den gegen sie gerichteten Angriffen der Berufung der Beklagten Stand.
2.
Entgegen der Meinung der Beklagten kann eine physische Beeinträchtigung der Klägerin durch das Unfallereignis nicht nur deshalb ausgeschlossen werden, weil lediglich eine Streifkollision mit geringer Geschwindigkeitsänderung vorgelegen hat (vgl. hierzu auch OLG Koblenz NJW-RR 2004, 1318). So handelt ein erstinstanzliches Gericht verfahrensfehlerhaft, wenn es allein aufgrund eines technischen Sachverständigengutachten wegen Unterschreitens einer sog. Har...