Entscheidungsstichwort (Thema)
Schadensersatz aus Verkehrsunfall
Leitsatz (amtlich)
Zur Wahrnehmung von Sonderrechten nach § 35 Abs. 5 a StVO durch den Fahrer eines Rettungsdienstfahrzeugs.
Normenkette
StVO § 38 Abs. 1, § 9 Abs. 4, § 5 Abs. 3 Nr. 1, § 35 Abs. 1, § 17 Abs. 1-2; VVG § 115; ZPO §§ 546, 529, 513 Abs. 1, § 542 Abs. 2
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts St. Wendel vom 15.02.2011 – 15 C 589/10 (03) – wird auf deren Kosten zurückgewiesen.
2. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
I.
Der klagende Verein begehrt restlichen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall, der sich am 09.08.2009 in … ereignet hat.
Die Erstbeklagte befuhr mit ihrem Fahrzeug, das bei der Zweitbeklagten haftpflichtversichert ist, die … und wollte nach links in die … abbiegen. Sie hatte den linken Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt und hielt das Fahrzeug vor dem Abbiegen an.
Zur selben Zeit befuhr der Zeuge … mit einem Notarzteinsatzfahrzeug des Klägers, an dem Blaulicht und Martinshorn eingeschaltet waren, die … in gleicher Fahrtrichtung und näherte sich von hinten dem stehenden Fahrzeug der Erstbeklagten. Im Notarzteinsatzfahrzeug befand sich als Notarzt der Zeuge …. In der Folge bog die Erstbeklagte nach links ab und stieß dabei mit dem sie überholenden Einsatzfahrzeug zusammen.
Die Zweitbeklagte hat den Schaden des Klägers auf der Grundlage einer Haftungsquote von 1/3 zu 2/3 zulasten der Beklagten reguliert. Mit seiner Klage verfolgt der Kläger den nicht regulierten Schaden.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass die Erstbeklagte § 38 Abs. 1 StVO verletzt habe. Darüber hinaus habe sie gegen die doppelte Rückschaupflicht und die Pflicht, sich möglichst weit links einzuordnen, verstoßen. Demgegenüber habe der Zeuge … davon ausgehen dürfen, dass die Erstbeklagte ihm freie Bahn verschaffen würde. Das rechtfertige die Alleinhaftung der Beklagten.
Die Beklagten haben eingewandt, es sei nicht vorgetragen, dass tatsächlich höchste Eile geboten gewesen sei, um Sonderrechte in Anspruch zu nehmen. Der Zeuge … hätte auch, da die Erstbeklagte den linken Blinker gesetzt und sich zur Fahrbahnmitte eingeordnet habe, damit rechnen müssen, nicht wahrgenommen worden zu sein. Es sei deshalb von einer unklaren Verkehrslage iSd. § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO auszugehen. Daraus ergebe sich eine Mithaftung des Klägers von jedenfalls 1/3.
Das Amtsgericht hat die Zeugen … und … zum Unfallgeschehen vernommen und die Erstbeklagte informatorisch angehört. Danach hat es der Klage in der Hauptsache stattgegeben. Die Erstbeklagte habe gegen §§ 38 Abs. 1, 9 Abs. 4 StVO verstoßen. Nach der Beweisaufnahme stehe fest, dass das klägerische Fahrzeug zum Kreis der Sonderrechtsträger nach § 35 Abs. 1 StVO gehört habe. Den Insassen des Rettungsfahrzeuges sei nämlich von der Rettungsleitstelle Saarland mitgeteilt worden, dass ein medizinischer Notfall vorliege mit Verdacht auf Herzinfarkt, weshalb der Fahrer des Rettungsfahrzeuges zu Recht beide Sondersignale eingesetzt habe. Die Erstbeklagte habe darüber hinaus ihrer Verpflichtung zur zweiten Rückschau nicht genügt, da sie – wie sie selbst eingeräumt habe – ihre Aufmerksamkeit auf den Gegenverkehr gerichtet und das Sonderrechtsfahrzeug weder gesehen noch gehört habe. Dem gegenüber habe sich der Fahrer des Rettungsfahrzeuges darauf verlassen dürfen, dass die Erstbeklagte, die angehalten habe, ihn wahrgenommen hatte. Das Maß der Unfallverursachung sei insofern auf der Beklagtenseite so groß, dass die von dem Kläger zu verantwortende Mitverursachung nicht ins Gewicht falle.
Mit ihrer Berufung verfolgen die Beklagten weiter die Abweisung der Klage. Sie rügen eine fehlerhafte Rechtsanwendung des Amtsgerichts. Die Erstrichterin sei schon von einer falschen Anspruchsgrundlage ausgegangen, da nicht § 3 Nr. 1 PflVG a.F., sondern § 115 VVG für den Streitfall maßgeblich sei. Darüber hinaus habe die Erstrichterin zu Unrecht die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Wegerechts nach § 38 Abs. 1 StVO bejaht. Es sei weder vorgetragen noch bewiesen worden, dass höchste Eile geboten gewesen sei, um Menschenleben zu retten oder schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden. Im Übrigen müsse sich der Kläger selbst dann eine Mithaftung von 1/3 anrechnen lassen, wenn er sich zu Recht auf § 38 Abs. 1 StVO berufen könne. Bei einer nachgewiesenen Geschwindigkeit des Einsatzwagens innerorts zwischen 70 und 80 km/h sei die Betriebsgefahr so massiv erhöht, dass eine Mithaftung von 1/3 gerechtfertigt sei. Es greife aber auch eine Verschuldensmithaftung auf Klägerseite. Ausgehend davon, dass das Beklagtenfahrzeug mit eingeschaltetem linken Fahrtrichtungsanzeiger an der Fahrbahnmittelinie gestanden habe, habe sich der Fahrer des Einsatzwagens nicht darauf verlassen dürfen, dass die Erstbeklagte ihn auch wahrgenommen hatte. Denn es wäre zu erwarten gewesen, dass das Beklagtenfahrzeug an den rechten Fahrbahnrand oder sogar darüber hinaus auf den Gehweg gezogen worden wäre. Der Fahrer ...