Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Angemessenheit der Unterkunftskosten. Anforderung an die Angemessenheitsprüfung. konkrete Verfügbarkeit angemessener Unterkünfte. Obliegenheit der Wohnungssuche. einstweiliger Rechtsschutz. Angemessenheit. Unterkunftskosten. Verfügbarkeit. Obliegenheit. Wohnungssuche. Einstweiliger Rechtsschutz
Leitsatz (amtlich)
1. Erscheinen dem Träger der Grundsicherung die Unterkunftskosten im Einzelfall als zu hoch, darf er die Angemessenheitsprüfung nicht darauf beschränken, ausgehend vom Bedarf des Hilfebedürftigen mit Blick auf die örtlichen Verhältnisse zu bestimmen, welcher Kostenaufwand für die Unterkunft an sich (abstrakt) angemessen wäre. Da der Hilfebedürftige einen Anspruch auf Deckung seines Unterkunftsbedarfs hat, muss sich die Angemessenheitsprüfung in einem solchen Fall auch auf die Frage erstrecken, ob dem Hilfeempfänger im Bedarfszeitraum eine andere bedarfsgerechte, kostengünstigere Wohnung konkret verfügbar und zugänglich ist. Besteht eine derartige Unterkunftsalternative nicht, ist also die vom Hilfebedürftigen bewohnte Unterkunft die in dem maßgeblichen räumlichen Umkreis und Bedarfszeitraum einzig verfügbare, sind die Aufwendungen für diese Wohnung angemessen und deshalb gemäß § 22 Abs 1 S 1 SGB 2 vom Leistungsträger (zunächst) zu übernehmen (vgl BVerwG vom 28.4.2005 - 5 C 15/04 = NVwZ 2005, 1197 RdNr 11; Beschlüsse des Senats vom 25.1.2006 - L 8 AS 4296/05 ER-B und 9.11.2006 - L 8 AS 4787/06 ER-B).
2. Das Aufzeigen einer konkreten Unterkunftsalternative durch den Leistungsträger kann nur unterbleiben, wenn der Hilfebedürftige seiner sich aus § 22 SGB 2 ergebenden Pflicht, sich ernsthaft und intensiv um eine andere bedarfsgerechte und kostengünstigere Wohnung zu bemühen (vgl LSG Darmstadt vom 5.10.2006 - L 7 AS 126/06 ER), nicht nachgekommen ist. Denn § 22 Abs 1 S 2 SGB 2 aF bzw § 22 Abs 1 S 3 SGB 2 nF normiert eine Verpflichtung des Hilfebedürftigen zu Bemühungen um eine Kostensenkung (LSG Mainz vom 19.9.2006 - L 3 ER 161/06 AS).
3. Ob der Hilfebedürftige seine Obliegenheit erfüllt hat, lässt sich im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens (häufig) nicht aufklären. Deshalb ist in einem solchen Fall über den Antrag anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden.
Normenkette
SGB II § 22 Abs. 1 Sätze 1-3; SGG § 86b Abs. 2 S. 2
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 16. November 2006 abgeändert. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller ab 1. Juni 2006 - unter Anrechnung bereits erfolgter und bewilligter Zahlungen - Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von monatlich 809,83 € zu gewähren.
Die einstweilige Anordnung wird - unter dem Vorbehalt des Weiterbestehens der Hilfebedürftigkeit - zeitlich begrenzt bis 31. Juli 2007.
Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers im Antrags- und im Beschwerdeverfahren.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt den Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der ihm vorläufig höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zugesprochen werden sollen.
Der 1947 geborene Antragsteller ist seit Jahren arbeitslos und bezieht seit 01.01.2005 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende von der Antragsgegnerin. Er bewohnt seit 1998 eine ca 45 m² große 1-Zimmer-Wohnung in B. K.. Die Kaltmiete betrug bis zum 31.03.2006 monatlich 403,92 €; in diesem Betrag enthalten waren auch 25,00 € für die Miete eines Pkw-Stellplatzes und 25,56 € für die Miete der vom Vermieter zur Verfügung gestellten Einbauküche. Seit dem 01.04.2006 beträgt die Kaltmiete 426,93 € einschließlich 25,00 € für den Stellplatz und 32,10 € für die Einbauküche. Bis zum 30.04.2006 akzeptierte die Antragsgegnerin die volle Kaltmiete abzüglich der Miete für den Stellplatz und die Einbauküche sowie Nebenkosten und Heizung. Dies ergab zuletzt einen monatlichen Leistungsbetrag in Höhe von 809,83 € (Bescheid vom 27.04.2006).
Für die Zeit ab 01.05.2006 anerkannte die Antragsgegnerin nur noch eine Kaltmiete in Höhe von 229,95 € sowie Heizkosten (23,77 €) und sonstige Nebenkosten (71,23 €) im selben Umfang wie zuvor. Dies ergab einen monatlichen Leistungsbetrag von 669,95 € (Bescheide vom 27.04.2006 und 19.10.2006). Die Antragsgegnerin begründete den geringeren Leistungsbetrag für die Zeit ab 01.05.2006 damit, dass die tatsächlich vom Antragsteller geschuldete Kaltmiete unangemessen hoch sei und der Antragsteller keine ausreichenden Bemühungen unternommen habe, angemessenen Wohnraum zu finden. Der Antragsteller macht im Rahmen seines am 24.05.2006 eingegangenen Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung geltend, er habe sich intensiv um angemessenen Wohnraum bemüht, eine andere Wohnung zu den von der Antragsgegnerin vorgegebenen Konditionen bislang aber nicht finden können. Das SG lehnte den Antrag mit Beschluss vom 16.11.2006 ab. Der Beschluss wurde dem Prozessbevollmächtigten des Antragstellers am 20.11.2006 zuge...