Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeld II. Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten gem § 22 Abs 1 S 1 SGB 2. 6-Monats-Frist. Unterkunftsalternative. Örtliche Verhältnisse. Bemühungen des Hilfebedürftigen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Erscheinen dem Träger der Grundsicherung die Unterkunftskosten im Einzelfall als zu hoch, darf er die Angemessenheitsprüfung nicht darauf beschränken, ausgehend vom Bedarf des Hilfebedürftigen mit Blick auf die örtlichen Verhältnisse zu bestimmen, welcher Kostenaufwand für die Unterkunft an sich (abstrakt) angemessen wäre. Da der Hilfebedürftige einen Anspruch auf Deckung seines Unterkunftsbedarfs hat, muss sich die Angemessenheitsprüfung in einem solchen Fall auch auf die Frage erstrecken, ob dem Hilfeempfänger im Bedarfszeitraum eine andere bedarfsgerechte, kostengünstigere Wohnung konkret verfügbar und zugänglich ist. Besteht eine derartige Unterkunftsalternative nicht, ist also die vom Hilfebedürftigen bewohnte Unterkunft die in dem maßgeblichen räumlichen Umkreis und Bedarfszeitraum einzig verfügbare, sind die Aufwendungen für diese Wohnung angemessen und deshalb gemäß § 22 Abs 1 S 1 SGB 2 vom Leistungsträger (zunächst) zu übernehmen (Anschluss an BVerwG vom 28.4.2005 - 5 C 15/04 = NVwZ 2005, 1197; siehe bereits LSG Stuttgart vom 25.1.2006 - L 8 AS 4296/05 ER-B).

2. Der Träger der Grundsicherung muss eine konkrete Unterkunftsalternative aufzeigen, wenn er bereits vor Ablauf von sechs Monaten ab dem Zeitpunkt, ab dem er die Unterkunftskosten als zu hoch bewertet, die Leistungen mindern will.

3. Legt der Hilfebedürftige glaubhaft dar, dass er eine andere, kostengünstigere Wohnung sucht, eine solche aber nicht findet, kommt eine Reduzierung der Kosten auf den angemessenen Betrag der Unterkunftskosten ebenfalls nur dann in Betracht, wenn der Leistungsträger dem Hilfebedürftigen eine Unterkunftsalternative aufgezeigt hat. Das Aufzeigen einer Unterkunftsalternative ist nach der Rechtsprechung des Senats (Beschluss vom 25.1.2006, aaO) nur entbehrlich, wenn der Hilfebedürftige keine Erfolg versprechenden Bemühungen um angemessenen Wohnraum unternimmt.

 

Normenkette

SGB II § 22 Abs. 1 S. 1; WoGG § 8

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Heilbronn vom 24. August 2006 abgeändert. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin ab 1. Mai 2006 - unter Anrechnung bereits erfolgter Zahlungen - Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von monatlich 918,77 € zu gewähren.

Die einstweilige Anordnung wird - unter dem Vorbehalt des Weiterbestehens der Hilfebedürftigkeit - zeitlich begrenzt bis längstens 31. Dezember 2006.

Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin im Antrags- und Beschwerdeverfahren.

 

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung.

Die 1968 geborene Antragstellerin war bis einschließlich November 2005 in L. wohnhaft und bezog dort Arbeitslosengeld II. Im Dezember 2005 ist sie nach H. umgezogen. Für den Umzug nach H. erhielt sie mit Bescheid vom 29.12.2005 von dem für ihren früheren Wohnort (L.) zuständigen Träger der Grundsicherung eine Umzugskostenbeihilfe von 514,00 €. Die Wohnung in H., in der sie noch wohnt, wurde im Jahr 1975 bezugsfertig. Sie umfasst 2 Zimmer, 1 Kochnische, 1 Bad und 1 Kellerraum und hat eine Wohnfläche von 62 m 2 . Zu der Wohnung gehören auch zwei Tiefgaragenstellplätze. Die Miete für die Wohnung beträgt 480,00 € zuzüglich je 30 € für jeden Stellplatz. Die Antragstellerin zog in diese Wohnung zusammen mit ihrer am 09.06.1929 geborenen Mutter ein. Die Mutter der Antragstellerin erhielt ab 01.07.2005 aus der knappschaftlichen Pflegeversicherung häusliche Pflegehilfe im Rahmen der Pflegestufe II; ab 01.12.2005 wurde der Mutter auf ihren Antrag hin Pflegegeld in Höhe von monatlich 410,00 € gezahlt. Nachdem sich der Gesundheitszustand der Mutter verschlechtert hatte, zog sie am 24.04.2006 in ein Pflegeheim. Seitdem lebt die Antragstellerin alleine in der Wohnung in H..

Von der Antragsgegnerin erhält die Antragstellerin seit 20.12.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Mit Bescheid vom 30.05.2006 wurden Leistungen für die Zeit vom 01.04. bis 30.04.2006 in Höhe von monatlich 585,47 € und für die Zeit vom 01.05. bis 30.06.2006 in Höhe von 683,77 € bewilligt. In dem Bescheid wurde ferner ausgeführt, es sei eine Neuberechnung der Leistungen erfolgt. Durch die Einweisung der Mutter der Antragstellerin in ein Pflegeheim zum 24.04.2006 sei eine Änderung eingetreten. Da die zu zahlende Kaltmiete in Höhe von 480,00 € (ohne Stellplätze) die Mietobergrenze nach § 8 WoGG von 245,00 € überschreite und die Antragstellerin vor dem Umzug in ihre gegenwärtige Wohnung bereits Leistungen nach dem SGB II vom Jobcenter Stuttgart bekommen habe, hätte sie sich vor dem Umzug über die entsprechenden Mietobergrenzen informieren und sich eine dementsprechend angemessene Wohnung anmieten müsse...

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