Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. keine Prozesskostenhilfe. Mutwilligkeit. Arbeitslosengeld II. verspätete Umsetzung des Urteils des BVerfG
Leitsatz (amtlich)
Eine Klage, mit der die verspätete Umsetzung des Urteils des BVerfG vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 = BVerfGE 125, 175 - im Hinblick auf die Höhe des Regelsatzes gerügt wird, ist jedenfalls dann mutwillig iS des § 114 ZPO, wenn der Grundsicherungsträger ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass bis zur Verkündung des Gesetzes eine höhere Leistungsgewährung nicht möglich sei.
Tenor
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Ulm vom 22. Februar 2011 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde (§§ 172 Abs. 1, 173 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) ist zulässig, sie ist insb. nicht nach § 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG in der seit dem 01.04.2008 geltenden Fassung des Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26.03.2008 (BGBl. I S. 444) ausgeschlossen, da das Sozialgericht Ulm (SG) die Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) nicht ausschließlich wegen des Fehlens der persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen abgelehnt hat.
Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet. Das SG hat die Gewährung von PKH im Ergebnis zu Recht abgelehnt.
PKH erhält auf Antrag gemäß § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG, § 114 Zivilprozessordnung (ZPO), wer nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn der Rechtsstandpunkt des klagenden Beteiligten aufgrund der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen für das Gericht zumindest als vertretbar erscheint und es von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/ Keller/ Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 73a, Rn. 7a).
Unabhängig davon, ob für die Beurteilung der Erfolgsaussicht auf den Erkenntnisstand im Zeitpunkt der Entscheidung des Beschwerdeverfahrens (Leitherer, a.a.O., § 73 a, Rn. 7d) oder auf den Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfebewilligungsgesuchs (Landessozialgericht [LSG] Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 06.04.2011 -L 5 AS 397/10 B PKH- m.w.N. veröffentlicht in juris) abzustellen ist, ob mithin der zwischenzeitliche Erlass des Bescheides vom 26.03.2011, der den Antragsteller klaglos gestellt hat und -in Ermangelung eines Rechtsschutzbedürfnisses- zur Unzulässigkeit der Klage geführt hat, bei der Beurteilung der Erfolgsaussichten Einfluss gewinnt, ist die beantragte PKH bereits deshalb zu versagen, weil die vom Kläger betriebene Rechtsverfolgung mutwillig erscheint. Bei der Auslegung des Begriffs der Mutwilligkeit i.S. des § 114 ZPO ist zu berücksichtigen, dass es der Zweck der PKH ist, die bedürftige Partei beim Zugang zum gerichtlichen Rechtsschutz und im Rechtsstreit einer vermögenden Partei gleichzustellen. Hieraus ergibt sich, dass einer bedürftigen Partei PKH nicht bewilligt werden kann, wenn eine vermögende Partei, die für die Kosten selbst aufkommen müsste, auf die entsprechende Rechtsverfolgung oder -verteidigung vernünftigerweise verzichten würde (vgl. u.a. BSG, Beschluss vom 24.05.2000 - B 1 KR 4/99 BH - veröffentlicht in juris). Hierbei ist auf das Verhalten einer vernünftig handelnden Person abzustellen, d.h. das hypothetische prozessuale Verhalten einer vermögenden Partei in derselben Situation ist der Maßstab dafür, ob die von der bedürftigen Partei beabsichtigte Rechtsverfolgung oder -verteidigung mutwillig erscheint. Selbst wenn die hinreichende Erfolgsaussicht nicht verneint werden könnte, ist eine Rechtsverfolgung mutwillig, bei der die aufzuwendenden Kosten in keinem vernünftigen Verhältnis zum erstrebten Erfolg stehen. Maßgebend ist dabei das Verhältnis von Aufwand und Nutzen im Erfolgsfall (LSG Berlin, Beschluss vom 17.12.2003 - L 11 B 28/03 SB - veröffentlicht in juris).
In dem vorliegenden Fall steht für den Senat außer Zweifel, dass eine vernünftig denkende und handelnde Partei unter Berücksichtigung der von ihr aufzuwendenden und im Falle des Unterliegens selbst zu tragenden Kosten von einer Rechtsverfolgung Abstand genommen hätte. Mit seiner am 15.02.2011 erhobenen Klage vor dem SG macht der Antragsteller, rückwirkend zum 01.01.2011, höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) im Hinblick auf die Erhöhung des Regelsatzes zum 01.01.2011 geltend. Hierzu bringt er vor, die vom Bundesverfassungsgericht in dessen Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09- eingeräumte Übergangsfrist bis zum 31.12.2010 sei zwischenzeitlich abgelaufen, der Gesetzgeber habe es verabsäumt, rechtzeitig eine gesetzliche Neuregelung zu...