Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Erörterungstermin. Ablehnung eines Antrags auf Durchführung per Videokonferenz. Antragsbegründung: Personalknappheit der ortsansässigen Behörde. Zeit- und Kostenersparnis
Leitsatz (amtlich)
Zur Ablehnung der Durchführung eines Erörterungstermins im Wege einer Videokonferenz, nachdem der Antrag auf Durchführung einer Videokonferenz hauptsächlich mit einer Personalknappheit der - am Gerichtsort ansässigen - Behörde und einer Kosten- und Zeitersparnis begründet worden ist.
Tenor
Der Antrag des Beklagten vom 09.08.2021 auf Teilnahme am Termin zur Erörterung des Sachverhalts vom 20.09.2021 gemäß § 110 a Abs. 1 und 4 SGG per Videokonferenz wird abgelehnt.
Gründe
Gemäß § 110a Abs. 1 SGG (Fassung vom 25.04.2013, gültig ab 01.11.2013) kann das Gericht den Beteiligten, ihren Bevollmächtigten und Beiständen auf Antrag oder von Amts wegen gestatten, sich während einer mündlichen Verhandlung an einem anderen Ort aufzuhalten und dort Verfahrenshandlungen vorzunehmen. Die Verhandlung wird dann zeitgleich in Bild und Ton an diesen Ort und in das Sitzungszimmer übertragen.
Die Entscheidung über die Gestattung erfolgt im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Ein Anspruch der Beteiligten auf Gestattung der Teilnahme per Videokonferenz besteht auch auf deren Antrag nicht. Abwägungsrelevant sind im Rahmen des § 110a SGG insbesondere die von dem Antragsteller geäußerten Motive, eine Videokonferenz zu nutzen, dazu gehören vor allem medizinische Gründe. Allein die vom Gesetzgeber eingeräumte Möglichkeit, eine Teilnahme von einem anderen Ort aus zu gestatten, führt nicht zu einer Bindung des dem Gericht in § 110a Abs. 1 Satz 1 SGG ausdrücklich eingeräumten Ermessens (vgl. BSG, Beschluss vom 24.06.2021 - B 13 R 163/20 B -, juris).
Abwägungsrelevant sind im Rahmen des § 110a SGG insbesondere die von dem Antragsteller geäußerten Motive, eine Videokonferenz zu nutzen. Medizinische Gründe wiegen naturgemäß schwerer als rein finanzielle oder zeitliche Gründe. Auf Seiten des Gerichts sind der Beschleunigungsgrundsatz und die Konzentrationsmaxime zu berücksichtigen; zudem das Interesse an einer umfassenden Sachverhaltsaufklärung durch Vernehmung von andernfalls unerreichbaren Zeugen oder Sachverständigen bzw. durch Schaffung der Möglichkeit einer Befragung von Zeugen und Sachverständigen durch einen Beteiligten, der ohne Videoübertragung andernfalls an einer Teilnahme an dem Termin zur Beweisaufnahme gehindert wäre. In die Abwägung einzustellen ist ferner die Eignung der Technik für die erwartete Verhandlungssituation. Hierbei kann das Gericht eine Prognose anstellen, ob die Videokonferenz eine verfahrensfehlerfreie Verhandlung ermöglichen wird und ob die Technik eine effiziente, störungsfreie oder jedenfalls in Abwägung ausreichend störungsarme Sitzung zulässt. Hierbei können auch die Ergebnisse aus einem vorherigen Techniktest mit den Beteiligten und Erkenntnisse darüber, von welchem anderen Ort sie teilnehmen wollen, berücksichtigt werden. Andererseits hat das Gericht auch zu beachten, ob es selbst in verhältnismäßiger Weise in der Lage ist, erwartete Defizite zu vermeiden; bspw. durch Vorgaben an den „anderen Ort“ (Festlegung hinsichtlich der Räumlichkeit etc.) oder durch Durchführung eines weiteren Testtermins vor der eigentlichen Verhandlung. Vor allem in Bezug auf Beweisaufnahmen ist weiter in das Ermessen einzustellen, ob die Videokonferenztechnik die Beweisaufnahme nicht unverhältnismäßig erschwert oder sogar geeignet ist, das Beweisergebnis zu verfälschen. Dies kann bereits dadurch der Fall sein, dass eine bloße Bild- und Tonübertragung die Beurteilung der Glaubwürdigkeit beeinträchtigen könnte (vgl. zum Ganzen Müller in: Ory/Weth, jurisPK-ERV Band 3, 1. Aufl., § 110a SGG Rdnr. 62ff).
Die nach dem Beschluss des Deutschen Bundestages vom 25.08.2021 (zur BT-Drs. 19/32091) fortbestehende epidemische Lage von nationaler Tragweite nach § 5 Abs. 1 Satz 1 des Infektionsschutzgesetzes schränkt das Ermessen hier nicht im Sinne einer intendierten Ermessensausübung ein. Denn die entsprechende Soll-Vorschrift des § 211 Abs. 3 SGG ist zum 01.01.2021 wieder außer Kraft getreten und hier daher nicht mehr anwendbar (Art. 5, 20 Abs. 3 des Gesetzes zu sozialen Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie, BGBl. 2020 I, 1055). Angesichts der aktuell niedrigen Inzidenz, der weiterhin geltenden Schutz- und Hygienemaßnahmen im öffentlichen Nah- und Fernverkehr sowie im Gericht selbst und der nunmehr frei verfügbaren Impfmöglichkeit geht das Gericht auch nicht davon aus, dass dem oder der Bevollmächtigten des Beklagten bei einer Anreise zum Termin ein ernster Gesundheitsschaden droht (vgl. hierzu auch Bayerisches LSG, Beschluss vom 16.06.2021 - L 13 R 201/20 -, juris). Der Beklagte hat einen solchen Grund abgesehen davon auch nicht geltend gemacht.
Der Beklagte hat in seiner Antragsbegründung vom 30.08.2021 den Antrag damit begründet, dass durch die digitale Teilnahme Kosten- und vor allem Zeitersp...