Entscheidungsstichwort (Thema)
Behindertenrecht. Eingliederungshilfe. Schulbegleitung. einstweiliger Rechtsschutz. Persönliches Budget. Entbehrlichkeit der Zielvereinbarung. relativ hoher Zeitaufwand für Schulfahrten. häusliche Beschulung. Erfordernis der Schulbesuchsuntauglichkeit. schulisches Zutrittsverbot für Autismustherapeutin. höherer Vorschuss auf das Persönliche Budget. Erforderlichkeit einer Ermessensreduzierung auf Null
Orientierungssatz
1. Eine fehlende Zielvereinbarung steht jedenfalls im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes einer vorläufigen Bewilligung eines Persönlichen Budgets nach § 29 SGB 9 2018 nicht entgegen (Anschluss an OVG Bremen vom 22.5.2020 - 2 B 66/20 = ZFSH/SGB 2020, 546 ; Abgrenzung zu LSG Essen vom 29.11.2016 - L 9 SO 522/16 B ER).
2. Der (vorläufige) Anspruch auf eine Schulbegleitung kann auch einen relativ hohen Zeitaufwand für die Fahrten zur und von der Schule umfassen (hier: täglich 1 Stunde und 35 Minuten bei einem Unterricht von 1 Stunde und 50 Minuten).
3. Ein Anspruch auf Schulbegleitung für eine häusliche Beschulung setzt eine Schulbesuchsunfähigkeit voraus. Allein, dass die Schule einer Autismustherapeutin den Zutritt nicht gestattet, reicht insoweit nicht aus (Abgrenzung zu VG Würzburg vom 16.8.2021 - W 3 E 21.985 ).
4. Eine einstweilige Anordnung zu einem höheren Vorschuss nach § 42 Abs 1 S 1 SGB 1 auf ein Persönliches Budget ist regelmäßig nur bei einer Ermessensreduzierung auf Null möglich.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Mannheim vom 29. Februar 2024 abgeändert.
Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, dem Antragsteller Leistungen für einen Schulbegleiter für die Zeit vom 14. März 2024 bis zum 24. Juli 2024, längstens bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache, im Rahmen eines Persönlichen Budgets in Höhe von wöchentlich 600 Euro zu bewilligen.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Die Antragsgegnerin trägt die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Antragstellers im Beschwerdeverfahren.
Gründe
I. Zwischen den Beteiligten ist die Bewilligung von Leistungen für eine Schulbegleitung des Antragstellers in Form eines persönlichen Budgets streitig.
Der 2008 geborene Antragsteller leidet an frühkindlichem Autismus, einer umschriebenen Entwicklungsstörung der Motorik sowie einer mittelgradigen Intelligenzminderung. Mit Bescheid des Staatlichen Schulamts M1 vom 9. September 2022 wurde zur Erfüllung des Anspruchs auf ein sonderpädagogisches Bildungsangebot im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung festgestellt, dass der festgestellte Anspruch ab dem 12. September 2022 an der W1schule Gemeinschaftsschule in H1 erfüllt wird (Bl. 97 Band V Verwaltungsakten).
Die Antragsgegnerin unterbreitete dem Antragsteller unter dem 26. Juli 2023 eine Zielvereinbarung für die Gewährung eines Persönlichen Budgets nach § 105 Abs. 4 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) i.V.m. § 29 SGB IX (Bl. 207 Bd. V Verwaltungsakten) mit einer Geltungsdauer vom 1. Mai 2023 bis zum 24. Juli 2024. Als erforderliche Leistung zur Bedarfsdeckung war darin u.a. enthalten eine Schulbegleitung als Leistung der Teilhabe an Bildung an der W1schule durch eine Fachkraft im Umfang von 34,92 Zeitstunden pro Woche vom 11. September 2023 bis zum 24. Juli 2024 (Schuljahr 2023/24). Die Stunden setzten sich zusammen aus dem Stundenumfang gem. dem Stundenplan (33,58 Zeitstunden) zzgl. der Wegebegleitung von insgesamt 40 Minuten pro Tag (insg. 36,92 Zeitstunden) abzüglich der Pausen von 30 Minuten an vier Arbeitstagen mit je über sechs Zeitstunden Arbeitszeit und einem Stundensatz von 45 Euro je Zeitstunde. Die Bevollmächtigte des Antragstellers teilte der Antragsgegnerin darauf mit Schreiben vom 9. August 2023 mit (Bl. 217 Band V Verwaltungsakten), es hätten sich noch einige Änderungen ergeben. Zunächst werde um ersatzlose Streichung der Befristung aus der Zielvereinbarung gebeten. Die Eltern des Antragstellers hätten seit dem 1. Juli 2023 das Anstellungsverhältnis der Schulbegleitung übernommen. Die Kosten für die Schulbegleitung betrügen 3.212,41 Euro zzgl. Unfallversicherung bei der BG. Der Kostenanfall für das Schuljahr ab dem 11. September 2023 werde sich auf monatlich 4.714,20 Euro belaufen (45 x 34,92 h/Woche = 1.571,40 Euro pro Woche, d.h. bei 36 Wochen i.H.v 56.570,40 Euro). Da sich der Lohn aktuell auf ca. 3.300 Euro belaufe und die Supervision auf 1.200 Euro, komme im Monat ein Betrag i.H.v. 4.500 Euro zusammen. Eine Unterzeichnung der Zielvereinbarung erfolgte nicht.
Von der Antragsgegnerin übernommen wurden die Kosten für die Autismustherapie. Da die W1schule der Autismustherapeutin des Antragstellers den Zutritt zum Schulgebäude nicht erlaubte, erfolgte in der Folgezeit jedoch kein Schulbesuch des Antragstellers. Der Antragsteller wurde durch den Schulbegleiter im häuslichen Umfeld betreut. Die Kosten hierfür übernahm die Antragsgegnerin bis zum 28. Februar 2024 jeweils nachträglich (zuletzt mit Bescheid vom 13. März 2024 für die Monate Januar und Februar 202...