Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Streitwertfestsetzung. Bemessung der wertabhängigen Gerichts- sowie Rechtsanwaltsgebühren. zur Berücksichtigung streitwertrelevanter Änderungen des Streitgegenstands
Leitsatz (amtlich)
1. Wertabhängige Gerichtsgebühren im sozialgerichtlichen Klageverfahren entstehen und sind fällig mit Einreichung der Klageschrift. Sie sind daher allein nach dem sich für diesen Zeitpunkt ergebenden Streitwert zu bemessen. Eine nur teilweise Klagerücknahme oder teilweise Erledigung des Verfahrens wirkt sich insoweit auf die Höhe der wertabhängigen Gerichtsgebühren nicht aus.
2. Soweit darüber hinaus die gerichtliche Streitwertfestsetzung nach §§ 23 Abs 1 S 1, 32 Abs 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) auch für die Bemessung der wertabhängigen Rechtsanwaltsgebühren bindend ist und eine abweichende Gegenstandswertfestsetzung mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 33 RVG nicht in Betracht kommt, kann hingegen ein berechtigtes Interesse bestehen, den Streitwert nach Verfahrensabschnitten gestaffelt festzusetzen (vgl OVG Lüneburg vom 15.5.2013 - 8 OA 74/13 = NVwZ-RR 2013, 861; OVG Münster vom 13.6.2012 - 12 E 486/12; LSG München vom 14.9.2011, L 2 U 298/11 B; LSG Essen vom 20.5.2008 - L 16 B 87/07 KR; LSG Mainz vom 13.3.2007 - L 5 B 373/06 KNK; vgl Hartmann, aaO, § 52 GKG RdNr 16 mwN). Denn die wertabhängigen Rechtsanwaltsgebühren entstehen im sozialgerichtlichen Klageverfahren nicht schon mit der Klageeinreichung in vollem Umfang. Vielmehr können neben der allgemeinen Verfahrensgebühr weitere Gebühren in Abhängigkeit von weiteren Verfahrenshandlungen und -abschnitten zu späteren Zeitpunkten entstehen und fällig werden.
Tenor
Auf die Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 04.11.2015 abgeändert. Der Streitwert für das Klageverfahren S 9 R 6212/12 wird für die Zeit bis 15.12.2012 auf 26.679,76 € und für die Zeit ab 16.12.2012 auf 3.944,88 € festgesetzt.
Gründe
Der Senat entscheidet über die Streitwertbeschwerde der Beklagten gemäß § 68 Abs 1 Satz 5 iVm § 66 Abs 6 Satz 1 Halbsatz 2 Gerichtskostengesetz (GKG) durch die Berichterstatterin allein, da die angegriffene Streitwertfestsetzung durch die Kammervorsitzende des Sozialgerichts Stuttgart (SG) als Einzelrichterentscheidung iS des § 66 Abs 6 Satz 1 Halbsatz 1 GKG anzusehen ist (vgl Senatsbeschluss vom 07.02.2011, L 11 R 5686/10 B, Justiz 2011, 169 mwN).
Die Beschwerde der Beklagten ist statthaft und zulässig, da nach § 197a Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) iVm § 68 Abs 1 Satz 1 GKG gegen den Beschluss, durch den der Wert für die Gerichtsgebühren festgesetzt worden ist (§ 63 Abs 2 GKG), die Beschwerde stattfindet, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200 Euro übersteigt.
Der Streitwert für das Klageverfahren erster Instanz wird für die Zeit bis 15.12.2012 auf 26.679,76 € und für die Zeit ab 16.12.2012 auf 3.944,88 € festgesetzt. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 2, § 47 GKG.
In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert grundsätzlich nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen (§ 52 Abs 1 GKG). Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5.000 € anzunehmen (§ 52 Abs 2 GKG). Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend (§ 52 Abs 3 GKG).
Für die Wertberechnung ist der Zeitpunkt der den jeweiligen Streitgegenstand betreffenden Antragstellung maßgebend, die den Rechtszug einleitet (§ 40 GKG); streitwerterhöhende oder -mindernde Umstände des unveränderten Streitgegenstandes bleiben unberücksichtigt (vgl VGH Baden-Württemberg 17.05.2011, 9 S 1167/11, NVwZ-RR 2011, 918).
Soweit nach diesem Streitwert im sozialgerichtlichen Klageverfahren wertabhängige Gerichtsgebühren bemessen werden, besteht regelmäßig keine Notwendigkeit, etwaige Reduzierungen des Streitwertes in verschiedenen Verfahrensabschnitten durch die gerichtliche Wertfestsetzung nachzuvollziehen. Denn die wertabhängigen Gerichtsgebühren im sozialgerichtlichen Klageverfahren entstehen und sind fällig nach § 6 Abs 1 Nr 5 GKG bereits in vollem Umfang schon mit Einreichung der Klageschrift. Sie sind daher allein nach dem für diesen Zeitpunkt festgesetzten Streitwert zu bemessen. Eine nur teilweise Klagerücknahme oder teilweise Erledigung des Verfahrens wirkt sich insoweit, dies zeigen auch die Regelungen in Nrn 7111, 7113, 7115 KV GKG („Beendigung des gesamten Verfahrens", vgl Hartmann, Kostengesetze, 45. Aufl 2015, KV GKG Nr 7111 RdNr 1; Nr 1211 RdNr 3 mwN), auf die Höhe der wertabhängigen Gerichtsgebühren nicht aus.
Soweit darüber hinaus die gerichtliche Streitwertfestsetzung nach §§ 23 Abs 1 Satz 1, 32 Abs 1 Rechtsanwaltsvergütungsge...