Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Statthaftigkeit der Beschwerde gegen einen den Befangenheitsantrag gegen einen Sachverständigen ablehnenden Beschluss

 

Leitsatz (amtlich)

Die Beschwerde gegen einen den Befangenheitsantrag gegen einen gerichtlichen Sachverständigen ablehnenden Beschluss des Sozialgerichts ist statthaft und nicht in entsprechender Anwendung des § 172 Abs 2 SGG ausgeschlossen (ebenso LSG Stuttgart vom 25.06.2012 - L 8 SB 1449/12 B, vom 14.02.2011 - L 6 VG 5634/10 B; im Ergebnis ebenso vom 25.07.2011 - L 13 R 2168/11 B; vom 22.11.2010 - L 1 U 5045/10 B und ausführlich LSG Celle vom 04.01.2011 - L 4 KR 324/10 B = Breith 2011, 687; Abweichung zu LSG Stuttgart vom 27.01.2010 - L 7 R 3206/09 B).

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Konstanz vom 08.05.2012 wird zurückgewiesen.

 

Gründe

I.

Die Klägerin betreibt die Ablehnung des gerichtlichen Sachverständigen Dr. H. wegen Befangenheit.

Dr. H., der die Klägerin bereits in einem früheren Klageverfahren im Jahre 2009 begutachtet hatte, ist vom Sozialgericht Konstanz mit Schreiben vom 18.04.2012 zur Klärung der Frage, ob bei der Klägerin eine Erwerbsminderung vorliegt, von Amts wegen zum gerichtlichen Sachverständigen ernannt worden. Mit Schreiben vom 25.04.2012 hat der Sachverständige die Klägerin zur Terminabsprache aufgefordert, mit vom Sachverständigen an das Sozialgericht weitergeleitetem Schreiben vom 27.04.2012 (Eingang beim Sozialgericht am 04.05.2012) hat die Klägerin den Sachverständigen gebeten, dem Gericht mitzuteilen, dass sie mit ihm keine Zusammenarbeit wünsche und mit Schreiben vom 04.05.2012, beim Sozialgericht am 07.05.2012 eingegangen, hat die Klägerin den Sachverständigen gegenüber dem Gericht abgelehnt, jedoch keinerlei Gründe genannt.

Mit Beschluss vom 08.05.2012 hat das Sozialgericht den Befangenheitsantrag abgelehnt und ausgeführt, die Klägerin habe keinerlei Gründe für die Ablehnung angegeben und es seien auch keine objektiven Gründe ersichtlich, die Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Sachverständigen begründen könnten. Eine mögliche Befangenheit lasse sich insbesondere nicht aus der früheren Beauftragung des Sachverständigen ableiten, auch wenn er damals eine der Klägerin ungünstige Stellungnahme abgegeben habe. Weiter hat das Sozialgericht unter Bezugnahme auf den Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 27.01.2010, L 7 R 3206/09 B ausgeführt, der Beschluss sei unanfechtbar, da die Beschwerde in entsprechender Anwendung des § 172 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) nicht gegeben sei.

Nachdem der angefochtene Beschluss vom 08.05.2012 ihr zugestellt worden war, hat die Klägerin unter dem Datum des 15.05.2012 (am selben Tag beim Sozialgericht eingegangen) hiergegen eingewandt, beim Sachverständigen schon 2009 einen Termin gehabt zu haben, keine Zusammenarbeit mit ihm zu wünschen und dafür triftige Gründe zu haben. In der am 12.07.2012 beim Senat eingegangenen Begründung der am 22.05.2012 eingelegten Beschwerde macht die Klägerin geltend, der Sachverständige habe in der früheren Begutachtung von ihr vorgelegte und von ihr für wichtig erachtete Unterlagen und bildgebendes Material nicht zur Kenntnis genommen, wesentliche Aspekte unrichtig wiedergegeben, darunter ihre eigenen Angaben, sie mit unsensiblen und tendenziösen Bemerkungen charakterisiert und ihr so kaum verblümt unterstellt, ihre Beschwerden zu simulieren. Damit habe der Sachverständige offenbart, dass er ihre gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht ernst nehme, nicht in der Lage oder willens sei, sich in ihre Situation hinein zu versetzen und statt dessen die gesundheitliche Verfassung und das Leistungsvermögen unvoreingenommen und ohne die nötige unparteiliche Sorgfalt zu beurteilen.

II.

Die Beschwerde ist - entgegen der vom Sozialgericht in der dem Beschluss angefügten Rechtsmittelbelehrung vertretenen Auffassung - statthaft.

Nach § 172 Abs. 1 SGG findet gegen Entscheidungen der Sozialgerichte mit Ausnahme der Urteile die Beschwerde an das Landessozialgericht (LSG) statt. Nach § 118 Abs. 1 SGG sind, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, auf die Beweisaufnahme im Einzelnen aufgeführte Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO), u.a. auch § 406 ZPO, entsprechend anzuwenden. Nach § 406 Abs. 5 ZPO findet gegen den einen Befangenheitsantrag gegen den Sachverständigen ablehnenden Beschluss die (sofortige) Beschwerde statt. Da das SGG - wie sogleich darzulegen ist - nichts anderes bestimmt, ist die im sozialgerichtlichen Verfahren vorgesehene Beschwerde nach § 172 Abs. 1 SGG statthaft.

Eine andere Bestimmung i.S. des § 118 Abs. 1 SGG enthalten insbesondere die Vorschriften des SGG über die Beschwerde nicht. Zwar können nach § 172 Abs. 2 SGG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des SGG und des Arbeitsgerichtsgesetzes (ArbGG) vom 26.03.2008 (BGBl. I S. 444) Beschlüsse über die Ablehnung von Gerichtspersonen nicht mit der Beschwerde angefochten werden. Hierunter fallen jedoch Beschlüsse der S...

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