Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Ausschluss der Beschwerde gegen Entscheidung über die Ablehnung eines Sachverständigen. Gerichtsperson. analoge Anwendung von § 172 Abs 2 SGG. Vereinheitlichung der Verfahrensordnungen. Verfassungsrecht. Instanzenzug. Abschaffung eines statthaften Rechtsmittels. Änderungen bezüglich Rechtsmittelzugang
Leitsatz (amtlich)
Entscheidungen der Sozialgerichte über die Ablehnung von Sachverständigen sind jedenfalls seit Inkrafttreten des SGG/ArbGGÄndG vom 26.3.2008 (BGBl I 2008, 444) nicht mehr anfechtbar.
Orientierungssatz
1. Weder Art 19 Abs 4 S 1 GG noch Art 20 Abs 3 GG oder Art 101 Abs 1 S 2 GG fordern zwingend für jede gerichtliche Entscheidung einen Instanzenzug (vgl BAG vom 22.7.2008 - 3 AZB 26/08 = NJW 2009, 935; BVerfG vom 12.7.1983 - 1 BvR 1470/82 = BVerfGE 65, 76 = NJW 1983, 2929 und vom 4.7.1995 - 1 BvF 2/86 = BVerfGE 92, 365 = NJW 1996, 185).
2. Dem Gesetzgeber ist von Verfassungs wegen nicht verwehrt, ein nach der jeweiligen Verfahrensordnung statthaftes Rechtsmittel abzuschaffen oder den Zugang zu einem an sich eröffneten Rechtsmittel von neuen einschränkenden Voraussetzungen abhängig zu machen (vgl BVerfG vom 7.7.1992 - 2 BvR 1631/90 = BVerfGE 87, 48 = NJW 1993, 1123 und vom 28.9.2009 - 1 BvR 1943/09).
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 23. Juni 2009 wird als unzulässig verworfen.
Gründe
Die gegen den Beschluss des Sozialgerichts Freiburg (SG) eingelegte Beschwerde ist unzulässig, da nicht statthaft. Die Beschwerde ist in entsprechender Anwendung des Beschwerdeausschlussgrundes des § 172 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) nicht gegeben.
Gemäß § 172 Abs. 2 SGG (in der hier anwendbaren Fassung des Gesetzes zur Änderung des SGG und des Arbeitsgerichtsgesetzes ≪ArbGG≫ vom 26. März 2008 - SGGArbGGÄndG - ≪BGBl. I S. 444≫) können u.a. Beschlüsse über die Ablehnung von Gerichtspersonen nicht mit der Beschwerde angefochten werden. Diese Regelung gilt zwar nicht unmittelbar, weil - wie die Bestimmung des § 60 Abs. 1 Satz 1 SGG und der dortige Verweis auf die §§ 41 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO) einerseits sowie § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG andererseits zeigen - zu den Gerichtspersonen nur die Richter (§§ 41, 42 ZPO) und die Urkundsbeamten (§ 49 ZPO), nicht dagegen die Sachverständigen zählen (vgl. Bundesarbeitsgericht ≪BAG≫, Beschluss vom 22. Juli 2008 - 3 AZB 26/08 - NJW 2009, 935; Verwaltungsgerichtshof ≪VGH≫ Baden-Württemberg, Beschluss vom 21. Juli 1997 - 9 S 1580/97 - NVwZ-RR 1998, 56; Keller in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 9. Auflage, § 118 Rdnr. 12o). Die Vorschrift des § 172 Abs. 2 SGG ist indessen analog anzuwenden (ebenso - zu § 49 Abs. 1 und 3 ArbGG - BAG, Beschluss vom 22. Juli 2008 a.a.O.; a.A. Keller in Meyer-Ladewig, a.a.O.; Roller in Hk-SGG, 3. Auflage, § 118 Rdnr. 27; wohl auch Leitherer in Meyer-Ladewig, a.a.O., § 172 Rdnr. 6f), weil das Gesetz eine ausfüllungsbedürftige Regelungslücke enthält. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus Folgendem:
Mit dem SGGArbGGÄndG sollte eine Entlastung der Sozialgerichtsbarkeit insgesamt erreicht werden, und zwar durch eine Straffung des sozialgerichtlichen Verfahrens, die es den Gerichten erlaubt, ihrer Amtsermittlungspflicht zum einen besser nachzukommen, zum anderen aber auch Verzögerungen des Verfahrens, die durch die Verfahrensbeteiligten selbst verursacht werden, zu sanktionieren (vgl. BT-Drucksache 16/7716 S. 1). Diesem Ziel dient auch die Ausweitung der Regelungen über den Beschwerdeausschluss in § 172 SGG (vgl. hierzu auch Senatsbeschlüsse vom 29. Juli 2008 - L 7 SO 3431/08 PKH-B - und vom 17. November 2008 - L 7 AS 2588/08 PKH-B - ≪beide juris≫). Dabei sollte mit der Änderung in § 172 Abs. 2 SGG im Interesse der Vereinheitlichung der Verfahrensordnungen eine Anpassung an § 146 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) bewirkt werden (vgl. BT-Drucksache 16/7716 S. 22 zu Nr. 29 Buchst. a). Dort war bereits mit dem 6. VwGO-Änderungsgesetz vom 1. November 1996 (BGBl. I S. 1626) in § 146 Abs. 2 VwGO eine der jetzigen Fassung des § 172 Abs. 2 SGG entsprechende Bestimmung über den Ausschluss der Beschwerde bei Beschlüssen über die Ablehnung von Gerichtspersonen aufgenommen worden, die wie alle Rechtsänderungen in der genannten Gesetzesnovelle der Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung der seinerzeit überlasteten Verwaltungsgerichte diente (vgl. BT-Drucksache 13/5098 S. 1 f.). Der Ausschluss der Beschwerdemöglichkeit sollte den Beteiligten den Anreiz nehmen, Ablehnungsgesuche allein deshalb anzubringen, um die Entscheidung in der Hauptsache hinauszuzögern (vgl. BT-Drucksache a.a.O. S. 24 f. zu Nr. 21 Buchst. a).
Die Beschleunigung des Verfahrens bezwecken im Übrigen auch die Regelungen in § 49 Abs. 3 ArbGG (in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Juli 1979 ≪BGBl. I S. 853≫; vgl. BAG, Beschluss vom 14. Februar 2002 - 9 AZB 2/02 - NZA 2002, 872; BAG, Beschluss vom 22. Juli 2008 a.a.O.) sowie in § 128 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO); ...