Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. Regelungsanordnung. Streitgegenstand. Sozialhilfe für Ausländer bzw Überbrückungsleistungen. Anordnungsanspruch. Hilfe zum Lebensunterhalt und bei Krankheit. Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Verfassungsmäßigkeit. Zumutbarkeit einer Rückkehr ins Heimatland. Überbrückungsleistungen. Bereitschaft zur Ausreise. Härtefall. Beiladung anderer Sozialleistungsträger

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zur Verfassungsmäßigkeit des § 23 Abs 3 S 1 Nr 2 SGB XII in der seit dem 29.12.2016 geltenden Fassung.

2. Einer Beiladung eines anderen Sozialleistungsträgers nach § 75 Abs 2 Alt 2, Abs 5 SGG bedarf es im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht, wenn der Leistungsbegehrende gegen den anderen Sozialleistungsträger bereits ein gesondertes einstweiliges Rechtsschutzverfahren anhängig gemacht hat.

 

Orientierungssatz

1. Bei den Leistungen nach § 23 Abs 1 S 1 SGB 12 einerseits und nach § 23 Abs 3 S 3, Abs 3a SGB 12 andererseits handelt es sich jeweils um getrennte Streitgegenstände (vgl LSG Stuttgart vom 7.11.2019 - L 7 SO 934/19).

2. Die Härtefallregelung des § 23 Abs 3 S 6 12 setzt das Vorliegen der Voraussetzungen für Überbrückungsleistungen nach § 23 Abs 3 S 3 SGB 12 voraus (vgl LSG München vom 24.4.2017 - L 8 SO 77/17 B ER = juris RdNr 43 und LSG Berlin-Potsdam vom 7.1.2019 - L 23 SO 279/18 B ER = SAR 2019, 62 = juris RdNr 41).

3. Die Gewährung von Überbrückungsleistungen nach § 23 Abs 3 S 3 bis 6 SGB 12 setzt eine Ausreisebereitschaft des Hilfebedürftigen voraus (vgl LSG Stuttgart vom 7.11.2019 - L 7 SO 934/19, LSG München vom 24.4.2017 - L 8 SO 77/17 B ER = juris RdNr 44 und LSG Berlin-Potsdam vom 7.1.2019 - L 23 SO 279/18 B ER aaO = juris RdNr 40 ff).

4. Die Anwendung der Regelungen bzgl der Überbrückungs- und Härtefallleistungen nach § 23 Abs 3 S 3 bis 6 SGB 12 darf nicht dazu führen, den Leistungsausschluss nach § 23 Abs 3 S 1 SGB 12 leerlaufen zu lassen.

 

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Heilbronn vom 23. Oktober 2019 (Ablehnung des Antrages auf Erlass einer einstweiligen Anordnung) wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

 

Gründe

1. Die nach § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Antragstellerin ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere statthaft (§ 172 SGG).

2. Die Beschwerde der Antragstellerin ist aber unbegründet. Die Antragstellerin, die Staatsangehörige der Republik Polen ist, begehrt sinngemäß die Verpflichtung der Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung, ihr ab dem 19. August 2019 Hilfe zum Lebensunterhalt und Hilfe bei Krankheit nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) zu zahlen. Das SG hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt.

a) Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist Voraussetzung, dass ein dem Antragsteller zustehendes Recht oder rechtlich geschütztes Interesse vorliegen muss (Anordnungsanspruch), das ohne Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes vereitelt oder wesentlich erschwert würde, so dass dem Antragsteller schwere, unzumutbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Anordnungsgrund). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund müssen glaubhaft gemacht sein (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung [ZPO]). Glaubhaftmachung liegt vor, wenn das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrunds überwiegend wahrscheinlich sind. Dabei haben sich die Gerichte bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage an den Erfolgsaussichten der Hauptsache zu orientieren (vgl. Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 13. April 2010 – 1 BvR 216/07 – juris Rdnr. 64; BVerfG, Beschluss vom 6. August 2014 – 1 BvR 1453/12 – juris Rdnr. 9). Eine Folgenabwägung ist nur ausnahmsweise zulässig, wenn eine Prüfung der materiellen Rechtslage nicht möglich ist (BVerfG, Beschluss vom 14. September 2016 – 1 BvR 1335/13 – juris Rdnr. 20; ständige Rechtsprechung des Senats, zuletzt etwa Beschluss vom 28. August 2019 – L 7 AY 2735/19 ER-B – juris Rdnr. 3 m.w.N.).

Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund stehen nicht isoliert nebeneinander; es besteht vielmehr eine Wechselbeziehung der Art, dass die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) zu verringern sind und umgekehrt (ständige Rechtsprechung des Senats, zuletzt etwa Beschluss vom 28. August 2019 – L 7 AY 2735/19 ER-B – juris Rdnr. 4 m.w.N.; Landes...

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