Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Bestattungskosten. Bestattungspflicht. Zumutbarkeit der Kostentragung. Ausschlagung der Erbschaft. Überschuldung des Nachlasses. Verweis auf Möglichkeit zur Geltendmachung der Kosten im Rahmen des Nachlassinsolvenzverfahrens

 

Leitsatz (amtlich)

Dem (selbst aufstockend Grundsicherung beziehenden) Angehörigen der Verstorbenen (hier des Bruders) ist die Übernahme der Bestattungskosten nicht im Sinne von § 74 SGB XII zumutbar, nachdem er das Erbe wegen deutlicher Überschuldung (zum Zeitpunkt des Todes standen einem Guthaben von 1.078,04 € ca 44.000 € Verbindlichkeiten gegenüber) ausgeschlagen hatte und danach keinerlei Informationen mehr hinsichtlich des aktuellen Kontostandes (einschließlich möglicher Gutschriften) sowie eines dennoch bestehenden möglichen Anspruches auf Übernahme der Bestattungskosten durch den Nachlasspfleger erhalten hatte.

 

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 15. März 2023 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat auch die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren zu erstatten.

 

Gründe

I.

Zwischen den Beteiligten steht die Übernahme von Bestattungskosten im Streit.

Die 1950 geborene Schwester des Klägers, M1, verstarb im Januar 2021. Die Schwester des Klägers lebte zuletzt in einer stationären Pflegeeinrichtung und erhielt vom Beklagten Hilfe zur Pflege. Der Kläger veranlasste die Bestattung seiner Schwester. Hierdurch entstanden Kosten in Höhe von 3.239,77 € (für Leichenschau, Gebühren für Feuerbestattung, Friedhof und Bestattungskosten), die im Februar und März 2021 fällig wurden. Der Kläger (geb. 1952), der als Rentner vom Beklagten aufstockende Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung bezieht, war nicht in der Lage, diese Kosten zu bezahlen.

Anfang Januar 2021 (siehe Schreiben des Beklagten an den Kläger vom 12. Januar 2021), mit Formantrag vom 25. Januar 2021 (Posteingang 17. Februar 2021), beantragte der Kläger beim Beklagten die Übernahme der Bestattungskosten. Vom Nachlassgericht erhielt der Beklagte mit Schreiben vom 15. Januar 2021 die Mitteilung, dass nur der Kläger als Erbe in Betracht komme. Wegen Überschuldung seiner verstorbenen Schwester (offene Verbindlichkeiten rund 44.000,00 €) schlug der Kläger zunächst mit formlosem Schreiben vom 26. Januar 2021 und in der Folge zur Niederschrift beim Amtsgericht - Nachlassgericht - A1 am 16. Februar 2021 das Erbe aus. In der Folge schlugen auch die Kinder des Klägers die Erbschaft jeweils aus (so Auskunft des Nachlassgerichts vom 22. August 2023).

Am 22. Juni 2021 bestellte das Nachlassgericht - bei gleichzeitiger Information des Beklagten hierüber - den Notarassessor R1 zum Nachlasspfleger. Dieser wies den Beklagten mit Schreiben vom 29. Juni 2021 (Bl. 358 Verwaltungsakte - VA -) auf die Überschuldung hin und auch darauf, dass alle in Betracht kommenden Erben die Erbschaft ausgeschlagen hätten, und bat ferner um Mitteilung über Forderungen des Beklagten gegen den Nachlass.

Am 13. Juli 2021 teilte die S1kasse Z1, bei der das Girokonto der verstorbenen Schwester des Klägers geführt worden war, dem Nachlasspfleger mit, sie mache aus einer titulierten Darlehensforderung eine Rückzahlung in Höhe von 2.448,17 € geltend.

Ausweislich des vom Nachlasspfleger erstellten Nachlassverzeichnisses vom 27. Juli 2021 (Bl. 360 VA) bestand am Todestag auf dem Girokonto ein Guthaben von 1.078,04 € und standen dem gegenüber Verbindlichkeiten aus einer Beitragsforderung der DAK in Höhe von 38.902,37 €, des Z2-Klinikums gGmbH wegen der Leichenschau in Höhe von 175,77 € (Anmerkung: richtigerweise lautet der Betrag auf 165,77 €), die schon erwähnte Forderung aus Kontokorrentkredit der S1kasse Z1 in Höhe von 2.448,00 €, sowie 1.283,67 € der H1 Inkasso und 1.138,97 € der H2 Inkasso, insgesamt 43.948,78 € (Anmerkung: richtigerweise 43.938,78 €).

Nach dem Tod der Schwester am 6. Januar 2021 fanden auf ihrem Girokonto im Jahr 2021 (neben den monatlich anfallenden Kontogebühren) noch folgende Buchungen statt:

6. Januar 2021: Guthaben 1.078,04 €

15. Januar: Abbuchung 559,44 € - Rücküberweisung überzahlter Leistungen an den Beklagten

24. März: Zufluss 3.077,68 € - Rücküberweisung von Heimentgelt

20. Juli: Abbuchung 2.448,17 € -Darlehensforderung der S1kasse

21. Juli: Auflösung des Kontos mit einem Restguthaben von 1.063,00 €.

Das Restguthaben wurde für die Gebühren des Nachlassgerichts und der Nachlasspflegschaft verbraucht.

Mit Bescheid vom 15. Oktober 2021 (Bl. 371 VA) lehnte der Beklagte den Antrag auf Übernahme der Bestattungskosten ab. Die hier angefallenen Bestattungskosten der Firma B1 in Höhe von 1.637,00 €, Friedhofsgebühren der Stadt A1 in Höhe von 942,00 € sowie der Gebührenbescheid für die Feuerbestattung in Höhe von 495,00 €, insgesamt 3.239,77 € (einschließlich der vom Beklagten nicht ausdrücklich erwähnten Leichenschaugebühr in Höhe von 165,77 €) seien anzuerkennender Bedarf. Jedoch sei zu prüfen gewesen, ob der vorhandene Nachlass zur Deckung der Bestattungsk...

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