Entscheidungsstichwort (Thema)
Asylbewerberleistung. einstweiliger Rechtsschutz. Anordnungsgrund. Sozialhilfe nach längerer Aufenthaltsdauer. rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Aufenthaltsdauer
Leitsatz (amtlich)
1. Ein rechtsmissbräuchliches Verhalten eines Leistungsberechtigten iS von § 2 Abs 1 AsylbLG muss kausal für die Dauer des Aufenthalts sein, wobei grundsätzlich auf die gesamte Dauer des Aufenthalts abzustellen ist.
2. Im Einzelfall kann es der verfassungsrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebieten, aufgrund von Umständen, die nach einem rechtsmissbräuchlichen Verhalten eingetreten sind, in der Form eine Ausnahme von dem Leistungsausschluss zuzulassen, dass die nach § 2 Abs 1 AsylbLG erforderliche Wartezeit von 36 Monaten erneut zu laufen beginnt.
Orientierungssatz
Im Anwendungsbereich des AsylbLG ist es dem Hilfebedürftigen im Regelfall nicht zuzumuten, bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache mit den im Vergleich zu den Leistungen nach § 2 Abs 1 AsylbLG spürbar niedrigeren Grundleistungen nach § 3 AsybLG auszukommen.
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 1. Februar 2007 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Der Antragsteller (Ast.) begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung die Verpflichtung des Antragsgegners (Ag.), ihm bis zur bestandskräftigen Entscheidung über seine Klage vor dem Sozialgericht Freiburg (SG) - S 10 AY 5262/06 - Leistungen gemäß § 2 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) zu gewähren.
Der 1962 geborene, aus dem Kosovo stammende Ast. reiste erstmals 1988 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte die Anerkennung als Asylberechtigter. Nach Ablehnung des Asylantrags am 20. Februar 1989, rechtskräftig seit 3. August 1990, wurde der Ast. am 18. September 1990 abgeschoben. Im Februar 1992 reiste er erneut in das Bundesgebiet ein und stellte am 2. Juli 1992 erfolglos einen Asylfolgeantrag. Im April 1993 verließ der Ast. freiwillig das Bundesgebiet. Im April 1999 reiste er wiederum in das Bundesgebiet ein und stellte erneut einen Asylfolgeantrag. Dieser wurde im Dezember 2000 nach Heirat einer deutschen Staatsangehörigen zurückgenommen. Zu seiner Ethnie berief sich der Ast. zunächst auf eine Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Roma (Asylantrag 1988), später auf eine albanische Zugehörigkeit (Folgeantrag 1992) und zuletzt wieder auf die Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Roma.
Im Dezember 2000 heiratete der Ast. nach dem Tod seiner 1988 mit ihm in das Bundesgebiet gekommenen Ehefrau zunächst die 1953 geborene deutsche Staatsangehörige A. B., geb. de W. und nahm daraufhin den Asylfolgeantrag von 1999 zurück. Diese Ehe wurde im November 2003 geschieden, nachdem die Eheleute nach Angabe gegenüber dem Familiengericht seit Sommer 2002 in Trennung lebten und bis dahin eine gemeinsame Wohnung nicht bezogen hatten. Eine im Juli 2003 abgegebene anderweitige Erklärung des Ast. gegenüber der Ausländerbehörde, mit seiner Ehefrau in einer gemeinsamen Wohnung zu wohnen, sei unzutreffend gewesen. Im Juli 2004 heiratete der Ast. dann die 1978 geborene deutsche Staatsangehörige An. S., geb. W.. Dem Ast. wurde aufgrund dieser Ehe am 10. September 2004 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 Ausländergesetz (AuslG) erteilt. Nachdem die dritte Ehefrau des Ast. seit November 2004 mehrfach bei der Ausländerbehörde vorstellig war und mitteilte, sich von dem Ast. getrennt zu haben und von ihm dauernd getrennt zu leben, wurde die Aufenthaltserlaubnis mit Bescheid vom 7. Dezember 2004 nachträglich befristet. Der Ast. erhielt in der Folgezeit Duldungen auf der Grundlage von § 60a Aufenthaltsgesetz (AufenthG) wegen der angegeben Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Roma.
Seit der Wiedereinreise in das Bundesgebiet im Jahr 1999 bezieht der Ast. Leistungen nach dem AsylbLG mit Ausnahme der Zeit November 2004 bis März 2005 (Bezug von Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz). Den mit Schreiben vom 7. August 2006 gestellten Antrag auf Gewährung von Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG lehnte der Ag. mit Bescheid vom 28. August 2006 ab, den Widerspruch des Ast. wies er mit Widerspruchsbescheid vom 27. September 2006 zurück. Nach Mitteilung des Innenministeriums Baden-Württemberg lasse die Lage im Kosovo die Rückkehr ausreisepflichtiger Kosovoalbaner zu. Auch die freiwillige Rückkehr für die Minderheitenangehörigen u.a. der Roma sei möglich und zumutbar. Der Ast. habe deshalb die Dauer seines Aufenthaltes rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst. Es lägen keine Hinweise vor, wonach eine Rückkehr aus tatsächlichen Gründen unmöglich sei.
Am 24. Oktober 2006 hat der Ast. beim SG Klage mit dem Begehren erhoben, ihm unter Aufhebung der ergangenen Bescheide Leistungen nach § 2 AsylbLG zu gewähren und zugleich den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Ein bloßes Nichtausreisen könne nach der Rechtsprechung des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg allenfalls dann als rechtsmissbräu...