Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsanwaltsvergütung. Erledigungsgebühr. Einwirken auf den Mandanten zur Abgabe einer verfahrensbeendenden Prozesserklärung. keine qualifizierte anwaltliche Mitwirkung
Orientierungssatz
1. Die Erledigungsgebühr setzt stets eine anwaltliche Mitwirkung voraus, die kausal für die Erledigung der Rechtssache bzw des Rechtsstreits gewesen ist. Dabei muss es sich um eine qualifizierte erledigungsgerichtete Mitwirkung des Rechtsanwalts handeln, die über das Maß desjenigen hinausgeht, das schon durch den allgemeinen Gebührentatbestand für das anwaltliche Auftreten im sozialrechtlichen Verfahren bzw sozialgerichtlichen Verfahren abgegolten wird (vgl zB BSG vom 14.2.2013 - B 14 AS 62/12 R = SozR 4-1300 § 63 Nr 19).
2. Die Einwirkung auf den Mandanten, der Erledigung des Rechtsstreits zuzustimmen, ist keine qualifizierte Mitwirkung im Sinne der Nrn 1006, 1005 RVG-VV, auch nicht wenn der Rechtsanwalt Überzeugungsarbeit leisten muss, um das Einverständnis zu erlangen (vgl ua LSG München vom 1.7.2011 - L 15 SF 82/10 B E = Breith 2012, 384; LSG Essen vom 30.9.2015 - L 19 AS 1453/15 B und OVG Berlin-Brandenburg vom 16.7.2014 - OVG 3 K 33.14).
Tenor
Auf die Beschwerde des Erinnerungsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Heilbronn vom 12.01.2017 geändert.
Die im Verfahren S 3 AS 3288/14 dem Erinnerungsführer aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung wird auf 1.251,70 € festgesetzt.
Im Übrigen werden die Erinnerung gegen die Kostenfestsetzung vom 19.05.2016 sowie die Beschwerde gegen den Beschluss vom 12.01.2017 zurückgewiesen.
Gründe
I. Gegenstand des Verfahrens ist die Höhe des Rechtsanwaltshonorars nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG), das dem Erinnerungsführer nach Beiordnung im Rahmen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) aus der Staatskasse zusteht.
Der Erinnerungsführer vertrat in dem beim Sozialgericht Heilbronn (SG) geführten Klageverfahren S 3 AS 3288/14 die vier Kläger (Eltern und zwei minderjährige Kinder), die als Bedarfsgemeinschaft Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) bezogen. Streitgegenstand waren Aufhebungs- und Erstattungsbescheide über die Rückforderung von Leistungen für den Zeitraum vom 01.10.2013 bis 31.05.2014 in Höhe von 1.034,32 € bzw. 2.087,63 €. Das SG bewilligte den Klägern durch Beschluss vom 22.09.2015 PKH und ordnete ihnen den Erinnerungsführer bei. Nach der vom SG erbetenen Vorlage von Kontoauszügen berechnete der Beklagte die Ansprüche für die einzelnen Monate unter Berücksichtigung insbesondere des zugeflossenen Einkommens neu und kam zu dem Ergebnis, die Bedarfsgemeinschaft der Kläger habe im streitigen Zeitraum Leistungen in Höhe von insgesamt 2.053,13 € zu Unrecht erhalten, die streitigen Aufhebungs- und Erstattungsbescheide seien daher auf diesen Betrag abzuändern. Die Kläger erklärten zunächst (Schriftsatz des Erinnerungsführers vom 11.12.2015) die Annahme des Teilanerkenntnisses und die Aufrechterhaltung der Klage im Übrigen. Das SG führte am 16.03.2016 einen Erörterungstermin durch, in dem die klagenden Eltern und der Erinnerungsführer, ein Vertreter des Beklagten sowie eine Dolmetscherin für die russische Sprache anwesend waren. Dem Protokoll zufolge dauerte der Termin von 10.55 Uhr bis 12.20 Uhr und wurde von 11.30 Uhr bis 11.50 Uhr unterbrochen. Protokolliert wurde u.a. ein Hinweis der Kammervorsitzenden auf eine Vorsprache der Klägerin zu 1 beim Beklagten am 08.09.2014, die anschließende Erklärung des Erinnerungsführers: „Ich erkläre das Verfahren im Hinblick auf die Monate Oktober 2013 bis 2014 für erledigt“, die weitere Erörterung der Sach- und Rechtslage hinsichtlich des verbliebenen Klagegegenstands und die anschließende Erklärung des Erinnerungsführers: „Ich nehme das Teilanerkenntnis des Beklagten aus dem Schriftsatz vom 29.10.2015 an und erkläre den Rechtsstreit im Übrigen für erledigt.“
Der Erinnerungsführer machte mit Kostenerstattungsantrag für PKH vom 22.03.2016 eine Vergütung von insgesamt 1.642,80 € geltend. Dabei setzte er neben der Verfahrensgebühr und der Terminsgebühr eine Erledigungsgebühr nach Nrn. 1006, 1005 VV RVG in Höhe von 390,00 € an.
Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle setzte mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 19.05.2016 die Vergütung in Höhe von 1.176,73 € fest. Neben einer Änderung bei der Anzahl der Kopien setzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle eine Erledigungsgebühr nicht an; eine solche sei nicht entstanden.
Der Erinnerungsführer legte mit Schreiben vom 01.06.2016 Erinnerung ein und machte geltend, die beantragte Erledigungsgebühr nach Nrn. 1006, 1005 VV RVG nebst Erhöhung um 30% sei festzusetzen. Während der Unterbrechung des Erörterungstermins habe er die Sach- und Rechtslage und die von der Kammervorsitzenden mitgeteilte Rechtsauffassung mit den Klägern erörtert; danach habe er die Vorsitzende um Protokollierung ihrer Rechtsauffassung gebeten, weshalb das Sitzungsprotokoll den Hinweis der Vorsitzenden erst nach der Verhandlungsunterbrechun...