Entscheidungsstichwort (Thema)
Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit aus der gesetzlichen Rentenversicherung. vorzeitige Wartezeiterfüllung. Versicherungspflicht bei Eintritt eines Arbeitsunfalls. Beweislast hinsichtlich der Versicherungspflicht. Feststellung von Versicherungsfreiheit wegen Geringfügigkeit. Überschreiten der Entgeltgrenze bereits im ersten Monat einer Tätigkeit ohne Ausgleichsmöglichkeiten in den Folgemonaten bei faktischem Ende der Tätigkeit aufgrund eines Arbeitsunfalls
Leitsatz (amtlich)
1. Für die von § 53 Abs 1 S 2 SGB VI geforderte Versicherungspflicht bei Eintritt des Arbeitsunfalls genügt jede Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung, dh neben derjenigen nach § 1 SGB VI (Beschäftigte) und § 2 SGB VI (selbständig Tätige) auch die Versicherungspflicht sonstiger Versicherter nach § 3 SGB VI sowie die Versicherungspflicht auf Antrag (§ 4 SGB VI).
2. Der Nachweis, dass bei Eintritt des Arbeitsunfalls Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung bestand, obliegt dem Versicherten.
Orientierungssatz
Zur Frage, ob die Feststellung von Versicherungspflicht bzw Versicherungsfreiheit bei der Beurteilung einer geringfügig entlohnten Beschäftigung auch dann von der Richtigkeit der ursprünglichen Prognoseentscheidung zu Beginn der Beschäftigung abhängt, wenn die Entgeltgrenze bereits im ersten Monat der Tätigkeit überschritten wird und ein Ausgleich des zu hohen Einkommens in den Folgemonaten deshalb nicht mehr möglich ist, weil die Beschäftigung noch im ersten Monat (unfallbedingt) faktisch endete, und zur Frage, ob in einem solchen Fall das im ersten Monat der Beschäftigung erzielte Einkommen gleichmäßig auf die ursprünglich geplante Dauer der Beschäftigung gemeldet bzw verteilt werden darf.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 25.09.2019 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Der am … 1981 geborene Kläger besuchte seit September 1998 die Abendrealschule in U.. Am 20.09.1999, am ersten Tag nach den Sommerfeien, erlitt er auf dem Weg zur Schule einen Unfall mit der Folge einer Querschnittslähmung. Er bezieht seitdem von der Unfallkasse Baden-Württemberg eine Verletztenrente auf der Grundlage einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 100. Im September 1999 war er sowohl bei der Firma V. Dienstleistung GmbH in L. (im Folgenden: Firma V.) als auch bei der Bundesautobahn-Tankstelle G. in N. beschäftigt.
In seinem Versicherungsverlauf des Rentenversicherungsträgers sind folgende Zeiten vermerkt:
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01.09.1997 - 11.09.1997 |
378 DM |
1 Monat Pflichtbeitragszeit berufliche Ausbildung |
14.09.1998 - 16.09.1998 |
421 DM |
1 Monat Pflichtbeitragszeit |
10.05.1999 - 03.06.1999 |
485 DM |
2 Monate Pflichtbeitragszeit |
01.09.1999 - 30.09.1999 |
147 DM |
geringfügige nicht versicherungspflichtige Beschäftigung |
01.09.1999 - 30.09.1999 |
232,67 DM |
geringfügige nicht versicherungspflichtige Beschäftigung |
01.10.1999 - 30.11.1999 |
465,33 DM |
geringfügige nicht versicherungspflichtige Beschäftigung |
Am 04.10.2013 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung, die zu gewähren die Beklagte mit Bescheid vom 05.11.2013 ablehnte, weil der Kläger die Mindestversicherungszeit für die beantragte Erwerbsminderungsrente nicht erfülle. Die allgemeine Wartezeit betrage 60 Monate. Sie müsse erfüllt sein, bevor die Erwerbsminderung eingetreten sei (§ 43 Abs 1 Nr 3 und Abs 2 Nr 3, § 50 Abs 1 Nr 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch [SGB VI]). Das Versicherungskonto des Klägers enthalte bis zum 05.11.2013 nur 6 Wartezeitmonate. Das reiche für den Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung nicht aus. Die Voraussetzungen für die vorzeitige Erfüllung der Wartezeit, wenn die Erwerbsminderung zB durch einen Arbeitsunfall oder innerhalb von 6 Jahren nach einer Ausbildung eingetreten sei (§ 53 SGB VI), seien ebenfalls nicht erfüllt.
In seinem dagegen gerichteten Widerspruch brachte der Kläger vor, er habe die Wartezeit vorzeitig erfüllt, da seine Behinderung durch einen Wegeunfall auf dem Weg zur Schule passiert und dies auch von der Berufsgenossenschaft anerkannt worden sei. Er habe ab September 1998 die Abendrealschule U. besucht, und auf dem Weg dorthin sei am 20.09.1999 der Unfall passiert.
Mit Widerspruchsbescheid vom 02.04.2014 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Kläger sei zum Zeitpunkt seines Unfalls nicht versicherungspflichtig beschäftigt gewesen und könne zudem in den letzten zwei Jahren vor dem Unfall nicht mindestens ein Jahr Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit vorweisen.
Dagegen hat der Kläger am 23.04.2014 Klage beim Sozialgericht Ulm (SG) erhoben. Er sei im Zeitpunkt des von der Berufsgenossenschaft anerkannten Wegeunfalls versicherungspflichtig bei der Firma V. besch...