Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Familienversicherung. keine obligatorische Anschlussversicherung bei unrechtmäßiger rückwirkender Beendigung der Familienversicherung seitens der Krankenkasse. Überschreitung der Einkommensgrenze. Einkünfte aus Kapitalvermögen. Einkommensteuerbescheid. Zulässigkeit einer Prognoseentscheidung. keine Berücksichtigung von fiktiven Einkünften unter dem Gesichtspunkt der sozialen Schutzbedürftigkeit von Familienmitgliedern
Leitsatz (amtlich)
1. Für eine obligatorische Weiterversicherung nach § 188 Abs 4 SGB V ist kein Raum, wenn die Krankenkasse zu Unrecht eine Familienversicherung rückwirkend beendet hat.
2. Bei der Prüfung der Frage, ob eine Familienversicherung in der Vergangenheit bestand oder nicht, ist zwischen den materiellen Voraussetzungen der Familienversicherung und der Berechtigung der Krankenkasse zur (rückwirkenden) Beendigung einer Familienversicherung zu unterscheiden (vgl BSG vom 7.12.2000 - B 10 KR 3/99 R = SozR 3-2500 § 10 Nr 19).
3. Aus den in einem Jahr erzielten (schwankenden) Einkünften aus Kapitalvermögen kann nicht ohne Weiteres der Schluss gezogen werden, dass Einkünfte in dieser Höhe auch in den Folgejahren erzielt worden wären. Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Familienmitglieds darf nicht bloß vermutet oder unterstellt werden, sondern muss tatsächlich vorliegen. (Der Senat hat die Revision zugelassen)
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 02.12.2019 wird zurückgewiesen.
Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Berufungsverfahren trägt die Beklagte.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist der Fortbestand der Familienversicherung der Klägerin im Zeitraum vom 01.11.2014 bis 28.02.2016.
Die 1970 geborene Klägerin war und ist mittlerweile wieder über ihren Ehemann, den Beigeladenen, bei der Beklagten familienversichert. Nachdem sie auf Nachfrage der Beklagten sowohl 2014 als auch 2015 erklärt hatte, für die Zeit ab 01.01.2012 bzw 01.01.2014 über keine Einkünfte zu verfügen, gab sie im Schreiben vom 12.08.2016 erstmals an, aus Vermietung Einkünfte erzielt zu haben. Nach erfolgloser Aufforderung an die Klägerin zur Vorlage der Einkommensteuerbescheide holte die Beklagte im Wege der Amtshilfe bei dem Finanzamt entsprechende Auskünfte ein. Aus den Einkommensteuerbescheiden für die Jahre 2007 bis 2012 ergaben sich keine positiven Einkünfte der Klägerin. Nach dem am 24.10.2014 ausgestellten Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2013 verfügte die Klägerin jedoch neben negativen Einkünften aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von minus 398 € über Einkünfte aus Kapitalvermögen iHv 6.256 €. Nach dem am 10.02.2016 ausgestellten Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2014 betrugen die Einkünfte der Klägerin aus Kapitalvermögen 2.532 €, die aus Vermietung und Verpachtung minus 369 €.
Die Beklagte hörte die Klägerin mit Schreiben vom 25.09.2017 wegen Überschreitens der in 2013 gültigen Einkommensgrenze zur Unterbrechung der Familienversicherung ab dem 01.11.2014 bis 28.02.2016 an. Hierzu äußerte sich die Klägerin nicht. Mit einem an die Klägerin gerichteten Bescheid vom 13.10.2017 entschied die Beklagte dann, dass die kostenfreie Familienversicherung der Klägerin für die Zeit vom 01.11.2014 bis zum 28.02.2016 nicht bestand, da für diesen Zeitraum das monatliche Gesamteinkommen der Klägerin über der für die Familienversicherung geltenden Einkommensgrenze gelegen habe. Zugleich bot sie der Klägerin eine freiwillige Mitgliedschaft bei der Beklagten für diesen Zeitraum an. Anderenfalls müsse der Austritt aus der Mitgliedschaft erklärt werden, was aber nur möglich sei, sofern ein anderweitiger Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall nachgewiesen werde. Die Klägerin legte hiergegen gemeinsam mit dem Beigeladenen Widerspruch ein, da sie kein Beschäftigungsverhältnis und keine regelmäßigen Einnahmen gehabt habe, die ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße überschritten hätten. Aus den von der Beklagten angeforderten Unterlagen des Finanzamts ergebe sich, dass im Jahr 2014 das monatliche Gesamteinkommen 180,25 € betragen und somit unter der maßgeblichen Einkommensgrenze gelegen habe.
Mit Schreiben vom 19.04.2018 erläuterte die Beklagte der Klägerin und dem Beigeladenen die Voraussetzungen der Familienversicherung. Das monatliche regelmäßige Einkommen laut Einkommensteuerbescheid 2013 habe bei 488,17 € gelegen. Somit liege das Einkommen für 2014, 2015 und 2016 über der Gesamteinkommensgrenze für die Familienversicherung, die damit zu beenden sei.
Nachdem die Klägerin in der Folgezeit keine anderweitige Absicherung im Krankheitsfalle nachgewiesen hatte, stellte die Beklagte mit Bescheid vom 08.05.2018 die obligatorische Anschlussversicherung für den streitigen Zeitraum fest und bezifferte die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung ab dem 01.11.2014 auf monatlich 686,48 €, ab dem 01.01.2015 auf 711,57 € und ab dem 01.01.2016 ...