Entscheidungsstichwort (Thema)

Berufliche Weiterbildung. fehlender Berufsabschluss. Förderungsvoraussetzungen. Anspruch auf Förderung einer Weiterbildung wegen fehlenden Berufsabschlusses. rechtliche Bedeutung der Aufnahmefähigkeit des Arbeitsmarktes und des arbeitsmarktpolitischen Handlungsbedarfs

 

Leitsatz (amtlich)

1. Anders als bei den Alt 1 bis 3 des § 77 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB 3 ist bei der Notwendigkeit der Weiterbildung wegen fehlenden Berufsabschlusses (Alt 4 des § 77 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB 3) eine (positive) Beschäftigungsprognose nicht erforderlich. Es muss also nicht die Erwartung bestehen, dass die Eingliederungschancen nach der Maßnahme besser sind als vorher (vgl BSG vom 3.7.2003 - B 7 AL 66/02 R = SozR 4-4300 § 77 Nr 1). Denn die Vorschrift erfordert als Leistungsvoraussetzung weder eine eingetretene noch eine drohende Arbeitslosigkeit (Niewald in Gagel, SGB 3, § 77 RdNr 59 Stand März 2000). Vielmehr beruht die Regelung auf der Erkenntnis, dass eine Berufsausbildung generell die Chancen für eine Eingliederung in den Arbeitsmarkt erhöht.

2. Die Berücksichtigung der Aufnahmefähigkeit des Arbeitsmarktes und des arbeitsmarktpolitischen Handlungsbedarfs gemäß § 7 S 2 Nr 2 und 3 SGB 3 bedeutet daher im Zusammenhang mit der Förderung der beruflichen Weiterbildung wegen fehlenden Berufsabschlusses nur, dass eine negative Beschäftigungsprognose ausgeschlossen sein muss, dh es darf nicht die Annahme gerechtfertigt sein, dass der Arbeitnehmer nach der Weiterbildung mit großer Wahrscheinlichkeit arbeitslos sein wird, weil es sich zB um einen Beruf mit gar keinen oder nur sehr geringen Beschäftigungsmöglichkeiten handelt.

 

Normenkette

SGB III § 77 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Fassung 2002-12-23, Abs. 2 Sätze 2-3, § 7 S. 2 Nr. 2, § 3 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 5

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 12. Oktober 2004 sowie der Bescheid der Beklagten vom 12. Januar 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Januar 2004 aufgehoben und die Beklagte wird verurteilt, die Teilnahme der Klägerin an der Maßnahme der beruflichen Weiterbildung in Form einer Weiterbildung bzw. Umschulung zur staatlich anerkannten Ergotherapeutin in der Medizinischen Akademie des Internationalen Bundes (IB), freier Träger der Jugend-, Sozial- und Bildungsarbeit e.V., Schönauerstr. 4, 79115 Freiburg, ab dem 01.03.2004 durch Übernahme der Ausbildungskosten und die Leistung von Unterhaltsgeld zu fördern.

Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen trägt die Beklagte.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die von der Klägerin am 01.03.2004 begonnene Umschulung zur Ergotherapeutin von der Beklagten als Maßnahme der beruflichen Weiterbildung gefördert werden muss.

Die Klägerin hat bislang keine abgeschlossene Berufsausbildung. Sie nahm 1984 zunächst ein Architekturstudium auf, das sie jedoch bereits 1985 im ersten Studienjahr wegen der Geburt ihres ersten Kindes wieder aufgab. Im Jahre 1989 bekam sie ihr zweites Kind. Nach der Aufgabe des Studiums widmete sie sich der Kindererziehung. Vom 01.07.1998 bis zum 01.08.2000 war sie für das Kulturamt der Stadt R. als museumspädagogische Betreuerin tätig. Anschließend war sie bis zum 30.03.2002 arbeitslos. Ab 01.04.2002 arbeitete sie als Verkäuferin und ab 01.07.2002 als Kassiererin in Teilzeit. Vom 01.12.2003 bis zum 29.02.2004 absolvierte sie an der Universitätsklinik F. ein Vorpraktikum für eine Ausbildung zur Ergotherapeutin.

Die Klägerin wandte sich bereits Anfang 2003 an das Arbeitsamt (jetzt: Agentur für Arbeit) F. und erkundigte sich nach einer Ausbildung zur Ergotherapeutin. Nach einem ersten Beratungstermin im Oktober 2003 fand am 12.01.2004 eine weitere Beratung statt. Dabei erhob die Beklagte die für das Ausfüllen eines von der Beklagten aufgestellten Kriterienkataloges notwendigen Daten. Bei diesem Kriterienkatalog handelt es sich um eine Arbeitshilfe zur Ermessensausübung für Anträge auf Förderung der beruflichen Weiterbildung bei Umschulung. Anhand von personenbezogenen (u.a. Eignung, Dauer der Arbeitslosigkeit, Lebensalter), maßnahmebezogenen (Maßnahmeart und Maßnahmekosten) und erfolgsbezogenen (Arbeitsmarktperspektive der Zielberufe) Kriterien, für die unterschiedlich hohe Punkt vergeben oder in Abzug gebracht werden, prüfte die Beklagte, ob eine Förderung möglich ist. Nach den Vorgaben der Beklagten müssen die Bewerber mindestens 60 Punkte erreichen (vgl. Blatt 2 der Verwaltungsakte der Beklagten). Für die Klägerin ergaben sich bei den personenbezogenen Kriterien 70 Punkte (überdurchschnittliche Eignung für den angestrebten Beruf = 20 Punkte; bislang keine Berufsausbildung (Ungelernte) = 50 Punkte). Davon wurden im Bereich der maßnahmebezogenen Kriterien 50 Punkte wieder abgezogen wegen der Höhe der zu erwartenden Maßnahmekosten. Da es sich bei dem angestrebten Beruf nach Ansicht der Beklagten nur um einen “marktdurchschnittlichen" Beruf handelt, erhielt die Klägerin für die erfolgsbezogenen Kriterien 20 Pu...

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