Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Eingliederungsleistung. berufliche Weiterbildung. Bildungsgutschein. fehlender Berufsabschluss. Ermessensausübung

 

Orientierungssatz

1. Erfüllt ein Antragsteller die Voraussetzungen, an die der Zugang zu Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung gemäß § 77 Abs 2 Nr 1 SGB 3 geknüpft ist, hat die zu treffende Ermessensentscheidung nicht zum Gegenstand, ob überhaupt eine Förderung erfolgen soll oder nicht.

2. Eine positive Beschäftigungsprognose ist nicht erforderlich, wenn die Weiterbildung wegen fehlenden Berufsabschlusses notwendig ist; es ist in diesen Fällen vielmehr grundsätzlich davon auszugehen, dass die Eingliederungschancen nach einer Weiterbildungsmaßnahme besser sind als vorher.

 

Tenor

Der Antragsgegner wird im Wege einstweiliger Anordnung verpflichtet, das Vorliegen der Voraussetzungen für die Förderung der beruflichen Weiterbildung der Antragstellerin zur Kauffrau für Grundstücks- und Wohnungswesen bei der D A-Akademie, Institut B und B/W, durch Erteilung eines Bildungsgutscheins zu bescheinigen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Der Antrag der Antragstellerin auf vorläufigen Rechtsschutz gemäß § 86 b Abs. 2 SGG ist zulässig und begründet.

Die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht (§§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. 920 Abs. 2 ZPO). Ein Obsiegen der Antragstellerin in der Hauptsache ist überwiegend wahrscheinlich.

Rechtsgrundlage für die Erteilung des Bildungsgutscheins ist §§ 16 Abs. 1 Satz 1 SGB II i.V.m 77 SGB III. Gemäß § 16 Abs. 1 Satz 1 SGB II können als Leistungen zur Eingliederung in Arbeit unter anderem alle im VI. Abschnitt des IV. Kapitels des SGB III geregelten Leistungen erbracht werden. Soweit das SGB II für die einzelnen Leistungen nach Satz 1 keine abweichenden Voraussetzungen regelt, gelten diejenigen des SGB III (§ 16 Abs. 1 Satz 3 SGB II). Nach § 77 Abs. 1 SGB III können Arbeitnehmer bei beruflicher Weiterbildung durch Übernahme der Weiterbildungskosten gefördert werden, wenn

1. bei ihnen wegen eines fehlenden Berufsabschlusses die Notwendigkeit der Weiterbildung anerkannt ist,

2. vor Beginn der Teilnahme eine Beratung durch die Agentur für Arbeit erfolgt ist,

3. die Maßnahme und der Träger der Maßnahme für die Förderung zugelassen sind.

Gemäß § 77 Abs. 3 SGB III wird das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Förderung dem Arbeitssuchenden durch Erteilung eines Bildungsgutscheins bescheinigt.

Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Erteilung eines Bildungsgutscheines liegen vor.

Die Notwendigkeit der Weiterbildung der Antragstellerin wegen fehlenden Berufsabschlusses ist gemäß § 77 Abs. 2 Nr. 1 SGB III anzuerkennen. Nach dieser Vorschrift wird die Notwendigkeit der Weiterbildung bei Arbeitnehmern wegen fehlenden Berufsabschlusses anerkannt, wenn sie über einen Berufsabschluss verfügen, jedoch auf Grund einer mehr als vier Jahre ausgeübten Beschäftigung in an- oder ungelernter Tätigkeit eine entsprechende Beschäftigung voraussichtlich nicht mehr ausüben können. Dies ist hier der Fall. Die Antragstellerin hat glaubhaft vorgetragen, dass sie zwischen 1981 und 1984 den Beruf der Ergotherapeutin erlernte, diesen Beruf lediglich bis November 1984 ausübte, von Juni 1987 bis März 1988 eine Kurzausbildung zum PC-Software-Entwickler absolvierte und zuletzt von Juni 1989 bis März 2006 als geschäftsführende Inhaberin bzw. als geschäftsführende Gesellschafterin eines Sportstudios arbeitete. Die letztgenannte Tätigkeit als Geschäftsführerin ist als angelernte Tätigkeit zu werten; denn die Ausbildung zur Ergotherapeutin und die Kurzausbildung zum PC-Software-Entwickler vermittelten der Antragsstellerin nicht die für ihre Tätigkeit als Geschäftsführerin erforderlichen Kenntnisse insbesondere im kaufmännischen Bereich. Da sich die letztgenannte Tätigkeit über einen Zeitraum von mehr als vier Jahren erstreckte, ist davon auszugehen, dass sie ihre erlernten Berufe nicht mehr ausüben kann.

Die Antragstellerin erfüllt auch die weiteren Voraussetzungen des § 77 Abs. 1 SGB III, weil sie vor Beginn der Weiterbildungsmaßnahme am 20. März 2006 von dem Antragsgegner beraten worden und die Maßnahme sowie der Träger der Maßnahme für die Förderung zugelassen ist, wie sich aus den von der Antragstellerin bei dem Antragsgegner eingereichten Unterlagen ergibt.

Die Erteilung des Bildungsgutscheins steht nach §§ 16 Abs. 1 Satz 1 SGB II i.V.m 77 Abs. 1 SGB III grundsätzlich im Ermessen der Behörde. Vorliegend sprechen aber gewichtige Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsgegner verpflichtet ist, den Bildungsgutschein zu erteilen, weil jede andere Ermessensentscheidung fehlerhaft wäre.

Erfüllt die Antragstellerin die Voraussetzungen, an die der Zugang zu Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung geknüpft ist, hat die zu treffende Ermessensentscheidung nicht zum Gegenstand, ob überhaupt eine Förderung erfolgen soll oder nicht. Der Antragsgegner darf sich auch nicht darauf beschränken, eine gewünschte Maßnahme ...

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