Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Vermögenseinsatz. keine Berücksichtigung von Schulden. sozialrechtlicher Herstellungsanspruch. Beratungspflichten des Sozialhilfeträgers. Unmöglichkeit der Beseitigung des Nachteils durch eine zulässige Amtshandlung. Hilfebedürftigkeit. Verwertbarkeit. Unzumutbare Härte
Leitsatz (amtlich)
1. Das Vermögen iS des § 90 Abs 1 SGB XII umfasst die Summe aller aktiven Vermögenswerte; eine Saldierung aller Aktiva und Passiva erfolgt grundsätzlich nicht.
2. Eine Beratungspflicht dahingehend, durch den Verbrauch zumutbar verwertbaren Vermögens möglichst rasch Hilfebedürftigkeit herbeizuführen, besteht nicht. Es ist nicht möglich, einen Antragsteller nach den Grundsätzen über den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch im Wege einer Amtshandlung so zu stellen, als hätte er bereits zu einem früheren Zeitpunkt das über der Vermögensfreigrenze liegende Vermögen tatsächlich verwertet.
Normenkette
SGB XII § 19 Abs. 2 S. 1, § 43 Abs. 1 S. 1, § 90 Abs. 1, 2 Nr. 9, Abs. 3 S. 1, §§ 8, 10 Abs. 2, § 103 Abs. 1 S. 1
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 17. März 2016 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt im Zugunstenverfahren Leistungen der Grundsicherung im Alter bei Erwerbsminderung nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölftes Buch (XII) - Sozialhilfe - (SGB XII) für die Zeit von Januar bis April 2014.
Die 1937 geborene, geschiedene und alleinstehende Klägerin bezieht eine Altersrente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung (monatlicher Nettozahlbetrag 583,37 €, ab Juli 2014 593,11 € [+ 77,04 € im September 2014], ab Oktober 2014 618,79 €) sowie eine Altersrente der schweizerischen Ausgleichskasse (monatlicher Nettozahlbetrag im Januar 2014 144,44 €, im Februar 2014 146,37 €, im März 2014 146,73). Sie ist Mitglied der Krankenversicherung der Rentner. Sie bewohnt eine 3-Zimmer-Wohnung (ca. 65 qm²), für die sie eine monatliche Miete in Höhe von 562,42 € (460,16 € Kaltmiete, 102,26 € Nebenkosten) aufzuwenden hat.
Das Girokonto der Klägerin bei der Sparkasse B. wies zum 30. Dezember 2013 ein (Soll-)Saldo in Höhe von - 2.114,13 € (am 6. Februar 2014 - 3.035,11 €, am 7. März 2014 - 2.861,97 €) auf. Auf dem Depot der Klägerin bei der F.-D.-Bank befand sich zum 3. Januar 2014 ein Guthaben in Höhe von 7.547,57 €. In der Folgezeit nahm die Klägerin verschiedene Verfügungen über ihre F. Anteile vor, sodass sich das Guthaben verringerte (Guthaben am 6. Februar 2014 7.231,73 €, am 21. März 2014 6.288,28 €, am 4. April 2014 2.652,61 €, am 28. April 2014 2.366,05 €, am 24. Juni 2014 2.409,22 €) und das Sollsaldo auf dem Girokonto zurückgeführt wurde (Girokonto am 11. April 2014 421,38 €, am 30. April 2014 442,98 €, am 2. Mai 2014 282,11 €).
Am 9. Januar 2014 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII. Zur Begründung ihrer Notlage gab sie eine geringe Rente an. Sie verfüge über Wertpapiere/Depots mit einem Wert von 7.500,00 €. Sie habe einen Kredit bei der Sparkasse B. in Höhe von 3.400,00 €. Mit Schreiben vom 10. Februar 2014 erläuterte sie, dass sie nach der Auflösung ihrer Lebensversicherung 2002 ein F.-D. angelegt habe, das von ihr nach Bedarf in Anspruch genommen werde. Seit 2004 erhalte sie keinen Unterhalt mehr. Ihre Rente decke nicht die laufenden Kosten. Dem jetzigen Kontostand stehe ein Kredit bei der Sparkasse B. von ca. 3.000,00 €, eine offene Heizkostenrechnung für das Jahr 2012 in Höhe von 700,00 € sowie ein privates Darlehen von 1.400,00 € gegenüber.
Mit Bescheid vom 21. Februar 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. März 2014 lehnte der Beklagte den Grundsicherungsantrag wegen fehlender Hilfebedürftigkeit ab und wies darauf hin, dass das verwertbare Vermögen über der Vermögensfreigrenze von 2.600,00 € vorrangig zur Bestreitung des Lebensunterhalts eingesetzt werden müsse. Soweit die Klägerin das F.-D. aufgelöst habe und das Vermögen bis zur Freigrenze aufgebraucht sei, habe sie die Möglichkeit, erneut einen Antrag auf Grundsicherungsleistungen zu stellen. Der Beklagte wies die Klägerin darauf hin, dass sie die Möglichkeit habe, Wohngeld zu beantragen.
Am 1. April 2014 teilte die Klägerin mit, dass sie das F.-D. “bis auf die Vermögensfreigrenze aufgelöst (2.600,00 €)„ und einen Teil der Verbindlichkeiten ausgeglichen habe. Sie gehe davon aus, dass jetzt alle Voraussetzungen für die Gewährung von Grundsicherungsleistungen erfüllt seien. Nachdem die Klägerin eine Depot-Abrechnung der F.-D.-Bank vom 4. April 2014 über ein Guthaben in Höhe von 2.652,61 € eingereicht hatte, wies der Beklagte mit Schreiben vom 16. April 2014 darauf hin, dass die Klägerin noch über Vermögen über der Vermögensfreigrenze von 2.600,00 € verfüge, und empfahl, das F.-D. auf 2.300,00 € zu senken.
Mit Schreiben vom 2. Mai 2014 (Eingang beim Beklagten am 5. Mai 2014) reichte die ...