Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Kostenersatz durch Erben. Eingliederungshilfe nach dem SGB 12. Geltendmachung nach Überführung der Eingliederungshilfe ins SGB 9

 

Leitsatz (amtlich)

Kostenersatz nach § 102 SGB XII kann auch nach der zum 1.1.2020 erfolgten Herauslösung der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen, deren Leistungen bis zum 31.12.2019 im 6. Kapitel des SGB XII geregelt waren, und der Überführung dieser Leistungen ins SGB IX, weiterhin zumindest dann verlangt werden, wenn die Eingliederungshilfeleistungen noch nach dem alten Recht erbracht worden sind, der Leistungsträger den Kostenersatz aber erst nach dem 1.1.2020 geltend macht.

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 15. Februar 2023 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Der Streitwert wird für beide Rechtszüge endgültig auf 54.457,58 Euro festgesetzt.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen die Inanspruchnahme zum Kostenersatz als Erbin für Leistungen der Eingliederungshilfe ihres verstorbenen Ehemannes durch den Beklagten.

Die Klägerin ist die Witwe des 1954 geborenen und 2019 verstorbenen R1 (im Folgenden R). R erlitt im Jahr 2001 einen Herzstillstand und seither bestand eine globale Aphasie, ein hirnorganisches Psychosyndrom, Apraxie sowie Stuhl- und Harninkontinenz. Zum 01.09.2004 wurde R in den Förder- und Betreuungsbereich der Zweigwerkstatt G1 der Lebenshilfe aufgenommen. Mit Bescheid vom 26.07.2004 (Bl. 41 VA) wurde durch den damals noch zuständigen Landeswohlfahrtsverband B1 der Aufnahme des R in die Förder- und Betreuungsgruppe bei der Werkstatt für behinderte Menschen in G1 zugestimmt und die ab Aufnahmetag anfallende Vergütung in Höhe von damals 54,87 Euro täglich im Rahmen der Eingliederungshilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) bis auf Weiteres übernommen. Diese Leistungen wurden im Folgenden bis zum Tod des R vom Beklagten nach den Bestimmungen des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) weitergezahlt. Für den Zeitraum vom 01.01.2016 bis 01.03.2019 sind hierfür Kosten in Höhe von 83.152,86 Euro entstanden (vgl. Jahreskontolisten Bl. 441 ff. VA).

Ausweislich des von der Klägerin vorgelegten handschriftlichen Testaments vom 07.06.2001 setzten sich die Klägerin und ihr verstorbener Ehemann wechselseitig zu Alleinerben ein (vgl. Bl. 419 VA).

Die Klägerin machte gegenüber dem Beklagten auf dessen Auskunftsersuchen vom 21.05.2019 (vgl. Bl. 335 VA) hin mit Schreiben vom 29.05.2019 durch einen ausgefüllten Selbstauskunftsbogen (vgl. Bl. 341 VA) Angaben zum Nachlass. Daraus ergab sich, dass zum Nachlass ein hälftiger Miteigentumsanteil an einem selbstgenutzten Einfamilienhaus gehörte. Die Nachlassverbindlichkeiten wurden mit 54.096,74 Euro beziffert, die Beerdigungskosten mit 4.166,15 Euro.

Aus weiteren vorgelegten Unterlagen ergab sich, dass das Haus inzwischen an den Sohn der Klägerin übergeben worden war (vgl. Notarvertrages vom 28.10.2019, Bl. 370 ff. VA). Als Wert des Hauses wurde darin ein Gegenstandswert von 250.000,00 Euro angegeben. Die Übertragung erfolgte im Wege der vorweggenommenen Erbfolge und der Klägerin wurde ein lebenslanges Wohnrecht eingeräumt. Außerdem legte die Klägerin die Kontoauszüge des Girokontos ihres verstorbenen Ehemannes bei der P1bank (Guthaben zum 01.03.2019: 2.104,95 Euro, Bl. 393 ff. VA), den von ihr und R mit der V1bank B2 geschlossenen Darlehensvertrag vom 08.02.2008 über ein Darlehen in Höhe von 120.000 Euro für den behindertengerechten Umbau des Hauses (vgl. Bl. 401 VA) mit Darlehensstand zum 28.02.2019 i.H.v. 53.174,88 Euro (vgl. Bl. 407) sowie Nachweise über die Beerdigungskosten (Rechnung Fa. E1 i.H.v. 2.795,15 Euro, Bl. 409 VA, Gebührenbescheid i.H.v. 911,00 Euro, Bl. 413 VA, Rechnung G2 i.H.v. 360,00 Euro, Bl. 415 VA sowie Rechnung für Totenschein i.H.v. 66,34 Euro, Bl. 417) vor.

Mit Bescheid vom 27.07.2020 (Bl. 455 VA) forderte der Beklagte von der Klägerin Kostenersatz nach § 102 SGB XII in Höhe von 54.457,58 Euro. Hierbei waren unter Berücksichtigung des hälftigen Eigentumsanteils der Klägerin sowie des Girokontos zum 01.03.2019 ein Nachlassvermögen von 127.104,95 Euro und Nachlassverbindlichkeiten in Höhe von 57.307,37 Euro (Darlehenssumme zum behindertengerechten Umbau in Höhe von 53.174,88 Euro zzgl. Beerdigungskosten in Höhe von insgesamt 4.132,49 Euro) und somit ein Reinnachlass von 69.797,58 Euro zu Grunde gelegt worden. Der Sozialhilfeaufwand habe im Zeitraum vom 01.01.2016 bis 01.03.2019 insgesamt 83.152,86 Euro betragen und übersteige damit bereits den Reinnachlass. Unter Abzug des erhöhten Freibetrages nach § 102 Abs. 3 Nr. 2 SGB XII in Höhe von 15.340,00 Euro ergebe sich der geforderte Betrag. Eine besondere Härte liege nicht vor. Dass die Klägerin ihren Ehemann gepflegt habe, sei mit dem erhöhten Freibetrag berücksichtigt worden. Die Umbaukosten seien vollumfänglich berücksichtigt worden. Schonvermögen, hier das selbstbew...

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