Entscheidungsstichwort (Thema)

Fiktives Arbeitsentgelt. Qualifikationsgruppe

 

Leitsatz (amtlich)

Die für die Einstufung in die Qualifikationsgruppen des § 132 Abs. 2 SGB III maßgeblichen Beschäftigungen, auf die sich die Vermittlungsbemühungen ""in erster Linie"" zu erstrecken haben, sind solche, mit denen der Arbeitslose bestmöglich wieder in den Arbeitsmarkt eingegliedert werden kann. Vorrangig maßgeblich sind die aus § 35 Abs. 2 Satz 2 SGB III zu entnehmenden persönlichen Vermittlungskriterien Eignung und Leistungsfähigkeit des Arbeitsuchenden sowie die Anforderungen der angebotenen Stellen. Die hierbei von der Arbeitsverwaltung zu treffende Prognoseentscheidung ist im gerichtlichen Verfahren voll überprüfbar.

Die Tatsache, dass jemand mehrere Jahre nicht in der Branche tätig war, für die seine Qualifikation besteht, führt nicht automatisch zu einer Entqualifizierung.

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 25. Januar 2007 aufgehoben. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheids vom 27. Februar 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. Mai 2006 verurteilt, dem Kläger Arbeitslosengeld ab 15. Mai 2006 unter Zugrundelegung eines Bemessungsentgelts nach der Qualifikationsgruppe 1 zu gewähren.

Die Beklagte erstattet die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt höheres Arbeitslosengeld (Alg) unter Einstufung in Qualifikationsgruppe 1.

Der 1959 geborene Kläger ist Diplom-Agraringenieur und Wirtschaftsingenieur. Von April bis September 1985 war er abhängig beschäftigt im Projektmanagement, ab Dezember 1986 durchlief er eine dreizehnmonatige Qualifikation beim C.D.I. Stuttgart als EDV-Fachmann. Von Mai 1988 bis März 1993 war der Kläger als Projektingenieur abhängig beschäftigt, ab September 1995 führte er eine Nebenerwerbslandwirtschaft, welche im Jahr 2004 auf seine Frau überschrieben wurde. Von Juni 1996 bis März 1999 war der Kläger zudem 14 Stunden im Monat als Umweltberater bei der A. -Umweltberatung tätig, von 1996 bis 2000 arbeitete er selbstständig als Software-Entwickler (freier Mitarbeiter bei der A. SEL AG). Diese Tätigkeit gab er wegen Auftragsmangel auf. Von Januar bis Mai 2001 bezog der Kläger Alg und widmete sich anschließend der Erziehung seiner am 9. April 2000 und 23. Februar 2003 geborenen Kinder.

Am 13. Februar 2006 meldete sich der Kläger mit Wirkung zum 15. Mai 2006 arbeitslos. Mit Bescheid vom 27. Februar 2006 bewilligte die Beklagte dem Kläger vorläufig Alg ab 15. Mai 2006 für eine Anspruchsdauer von 360 Kalendertagen in Höhe von 30,87 € täglich (Bemessungsentgelt 58,63 €, Arbeitsentgelt 81,67 €). Ergänzend führte die Beklagte aus, das Bemessungsentgelt vermindere sich entsprechend dem Verhältnis der wöchentlichen Arbeitsstunden, die der Kläger tatsächlich leisten könne (28 Stunden) zu den Arbeitsstunden, die dem im Bemessungszeitraum erzielten Entgelt durchschnittlich zugrunde gelegen hätten (39 Stunden). Mit Änderungsbescheid vom 10. März 2006 setzte die Beklagte die Bewilligung in gleicher Höhe endgültig fest.

Am 8. März 2006 erhob der Kläger Widerspruch und machte geltend, die Beklagte habe ihn offensichtlich einer falschen Berufsklasse zugeordnet, das tägliche Arbeitsentgelt von 81,67 € entspreche dem fiktiven Entgelt der Qualifikationsgruppe 2. Er habe zwei erfolgreich abgeschlossene Hochschulausbildungen, seine bisherigen Beschäftigungen hätten immer eine Hochschulausbildung erfordert, auch für die Zusatzausbildungen sei für die Teilnahme seitens des Bildungsträgers ein Hochschulstudium vorausgesetzt worden. Er suche auch jetzt eine Beschäftigung, die einen Hochschulabschluss erfordere. Außerdem habe die Beklagte als wöchentliche Arbeitszeit nur 28 Stunden anerkannt, er habe jedoch erklärt, eingeschränkt durch die Kinderbetreuung 33 Stunden arbeiten zu können.

Im Widerspruchsverfahren holte die Beklagte eine dienstliche Stellungnahme der zuständigen Arbeitsvermittlerin ein. In ihrer Stellungnahme führte diese zusammenfassend aus, die Vermittlungsbemühungen richteten sich auf eine Tätigkeit als Software-Entwickler/EDV-Fachmann. Wegen der familiär bedingten Verteilung der Arbeitszeit/Einschränkung auf Teilzeit und der Ortsgebundenheit kämen für den Kläger nur Arbeitsangebote im Tagespendelbereich in Frage. Eine Vermittlung als Software-Entwickler auf Diplom-Ingenieur-Niveau sei nicht realistisch, da eine Tätigkeit auf dieser Ebene eine bundesweite Mobilität erfordere, ferner seien die Fachkenntnisse nach einer fünfjährigen Elternzeit nicht mehr aktuell. Die Vermittlungsbemühungen richteten sich nach der Qualifikationsstufe G (Kräfte mit Fachschulniveau), was der Qualifikationsgruppe 2 entspreche. Mit Abhilfebescheid vom 8. Mai 2006 änderte die Beklagte den angefochtenen Bescheid insoweit ab, als der Bemessung des Alg eine wöchentliche Arbeitsbereitschaft von 33 Stunden zugrunde gelegt wurde. Im Übrigen wies die den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 10. Mai 2006 zurück und führte ...

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