Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialversicherungspflicht bzw -freiheit. GmbH-Geschäftsführer. Familiengesellschaft. Geschäftsanteil iHv 15,75 %. Rechtsmacht. gesellschaftsvertragliche Bestimmung. Unbeachtlichkeit einer Poolvereinbarung. abhängige Beschäftigung. selbstständige Tätigkeit
Leitsatz (amtlich)
Geschäftsführer einer GmbH, die Geschäftsanteile iHv jeweils 15,75 % haben, verfügen nicht über die Rechtsmacht, ihnen nicht genehme Weisungen der Gesellschafterversammlung zu verhindern. Dies gilt auch, wenn der Gesellschaftsvertrag eine Bestimmung enthält, wonach „die gehaltenen Geschäftsanteile unabhängig von ihrem Nennbetrag gemeinsam so viele Stimmen gewähren, dass die beiden Gesellschaftern zustehenden Stimmen mindestens 51%, die den anderen Gesellschaftern zustehenden Stimmen höchstens 49% der Gesamtstimmenzahl ausmachen.“ Eine nicht im Gesellschaftsvertrag enthaltene sog. Poolvereinbarung, in der sich die Gesellschafter-Geschäftsführer (zusätzlich) verpflichten, "das Stimmrecht aus ihren Anteilen nur einheitlich auszuüben", ist für die Beurteilung der Frage, ob ein Beschäftigungsverhältnis vorliegt, unbeachtlich.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 10.12.2020 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Der Streitwert wird endgültig auf 86.086,30 € festgesetzt.
Tatbestand
Streitig ist, ob die Beigeladenen jeweils ihre Tätigkeit als Gesellschafter-Geschäftsführer im Zeitraum vom 01.01.2015 bis zum 29.07.2018 bei der Klägerin als Selbständige oder als sozialversicherungspflichtig abhängig Beschäftigte ausgeübt haben.
Die Klägerin ist eine auf den Großhandel von Zollschrauben und Zollmuttern spezialisierte Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) mit Sitz in L, gegründet mit Gesellschaftsvertrag vom 08.01.1985 und eingetragen ins Handelsregister B des Amtsgerichts Mannheim (HRB 104115). Zu den Geschäftsführern wurden zunächst die beiden alleinigen Gesellschafter und Eheleute F und F1 - die Beigeladenen - bestellt. Am 06.11.2009 wurden F2 und F3, die Töchter der Beigeladenen, zusätzlich zu Geschäftsführerinnen bestellt. Seit dem 08.09.2014 verteilte sich das Stammkapital in Höhe von 26.000,00 € auf die einzelnen Gesellschafter wie folgt:
Beigeladener zu 1) 4.095,00 €, 15,75 %
Beigeladene zu 2) 4.095,00 €, 15,75 %
F2 8.905,00 €, 34,25 %
F3 8.905,00 €, 34,25 %
Der Gesellschaftsvertrag wurde mit Wirkung zum 08.09.2014 am 28.08.2014 unter § 9 Ziffer 2 wie folgt gefasst:
Beschlüsse der Gesellschafterversammlung werden grundsätzlich mit einfacher Mehrheit aller Stimmrechte gefasst, soweit nicht durch diese Satzung oder das Gesetz eine andere Mehrheit vorgeschrieben ist. Die von F und Frau F1 gehaltenen Geschäftsanteile gewähren unabhängig von ihrem Nennbetrag gemeinsam soviele Stimmen, dass die beiden Gesellschaftern zustehenden Stimmen mindestens 51 %, die den anderen Gesellschaftern zustehenden Stimmen höchstens 49 % der Gesamtstimmenzahl ausmachen.
Am 29.08.2014 schlossen die Beigeladenen zu 1) und zu 2) eine Poolvereinbarung mit folgendem Inhalt:
(1) Herr F und Frau F1 verpflichten sich, über ihre Anteile nur einheitlich, insbesondere nur mit Zustimmung der übrigen Vertragsparteien, zu verfügen (…)
(2) Die Vertragsparteien verpflichten sich, das Stimmrecht aus ihren Anteilen nur einheitlich auszuüben. Zu diesem Zweck halten sie vor einer Stimmrechtsausübung eine interne Versammlung ab, in der über die Stimmrechtsausübung entschieden wird. Die Regelungen über die Gesellschafterversammlung der Gesellschaft gelten für die interne Versammlung entsprechend.
Ab dem 30.07.2018 wurde die Beschlussfassung unter § 9 Ziffer 2 des Gesellschaftsvertrages unter Streichung der Sonderklausel dahingehend geändert, dass Beschlüsse nunmehr einstimmig gefasst werden müssen.
Laut Geschäftsführervertrag vom 30.09.1985 war der Beigeladene zu 1) alleingeschäftsführungs- und alleinvertretungsberechtigt, von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit (§ 2 Geschäftsführervertrag), erhielt er ein festes Jahresgehalt zzgl 25% Tantieme (§ 4 Ziffer 1 und 2), Lohnfortzahlung im Krankheitsfall von 6 Monaten (§ 4 Ziffer 3), betriebsübliche Sonderzuwendungen wie Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld (§ 4 Ziffer 5) und hatte einen Urlaubsanspruch von 30 Arbeitstagen (§ 5), zudem wurden ihm Reisekosten und sonstige Aufwendungen erstattet (§ 6).
Auch die Beigeladene zu 2) war einzelvertretungsberechtigt und von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit (vgl Handelsregistereintrag B Amtsgericht Mannheim unter Eintragung 1 a Spalte 4).
Vom 04.06.2019 bis 08.10.2019 führte die Beklagte eine Prüfung bei der Klägerin mit Prüfzeitraum vom 01.01.2015 bis zum 31.12.2018 durch. Nach Abschluss der Betriebsprüfung stellte sie die Versicherungspflicht des Beigeladenen zu 1) sowie der Beigeladenen zu 2) in der Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung fest, da sie ihre Tätigkeit als Geschäftsführer bei der Klägerin ...