Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Restitutionsklage. instanzielle Zuständigkeit. unzutreffender Annahme der Zuständigkeit durch die Vorinstanz. Bindung des Berufungsgerichts. Restitutionsgrund. Qualifizierung eines E-Mailausdrucks als Urkunde. sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. erneuter Überprüfungsantrag. Verwaltungsakt der ehemaligen DDR. Aufhebbarkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Hat ein Sozialgericht seine instanzielle Zuständigkeit bei einer Restitutionsklage stillschweigend unzutreffend bejaht, ist das Berufungsgericht hieran in analoger Anwendung von § 98 S 1 SGG iVm § 17a Abs 5 GVG gebunden.
2. Ein E-Mailausdruck kann eine Urkunde gemäß § 580 Nr 7 Buchst b ZPO sein, da der Urkundenbegriff im Sinne dieser Vorschrift auch die Reproduktion eines elektronischen Dokuments mit urkundenähnlichem Gedankeninhalt abdeckt.
Orientierungssatz
1. Auch wenn Betroffene schon einmal einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB 10 gestellt haben, darf die Verwaltung ein erneutes Begehren nicht ohne Rücksicht auf die wirkliche Sach- und Rechtslage zurückweisen (vgl LSG Stuttgart vom 23.6.2016 - L 6 VG 5048/15).
2. Es gibt keine allgemeine Schlussfolgerung, dass ein Verwaltungsakt, der die Vorschriften des DDR-Rechts verletzt, so schwerwiegende Verstöße gegen rechtsstaatliche Grundsätze enthält, dass er nach Art 19 S 2 EinigVtr aufzuheben ist (vgl BSG vom 18.3.1997 - 2 RU 19/96 = BSGE 80, 119 = SozR
3-1300 § 48 Nr 61). Maßgeblich ist vielmehr, ob der Verwaltungsakt in der Art seines Zustandekommens oder in seinen Auswirkungen die elementaren Gerechtigkeitsvorstellungen verletzt, die den Kernbestand des Rechtsstaatsprinzips bilden (vgl OVG Weimar vom 20.4.1994 - 1 KO 14/93 = ThürVBl 1994, 265).
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 19. Januar 2016 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger erstrebt die Gewährung eines Dienstbeschädigungsausgleichs zum einen durch Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens im Wege der Restitutionsklage, zum anderen im Rahmen eines Überprüfungsantrages.
Der im Jahre 1953 geborene Kläger war von 1972 bis 1976 Berufssoldat der Nationalen Volksarmee (NVA) der Deutschen Demokratischen Republik (DDR). Am 7. April 1975 erlitt er gegen 21:00 Uhr bei einem Sprung aus dem Fenster seiner Unterkunft in der NVA-Kaserne K. eine mediale Knöchelfraktur rechts. Er war damals im Range eines Unterfeldwebels Funkmeister im Fliegertechnischen Bataillon (FTB-)-9. Die Beschwerden des Klägers wurden zunächst konservativ ohne Anlegen eines Gipsverbandes behandelt. Angesichts der Fortdauer der Beschwerden erfolgte am 6. Mai 1975 die Aufnahme in das Kreiskrankenhaus W., wo eine röntgenologische Kontrolle vorgenommen, die Herausbildung einer Pseudarthrose festgestellt und am 12. Mai 1975 eine operative Versorgung durch zwei zwischenzeitlich wieder entfernte Malleolarschrauben vorgenommen wurde. Seit dem Unfall leidet der Kläger unter Beschwerden des rechten Sprunggelenks.
In der Dienstbeschädigtenliste gab der Arzt Dr. T. am 11. Juli 1975 zum Unfallhergang an, dass sich der Kläger unerlaubt in den Ausgang hätte begeben wollen und zu diesem Zweck aus dem Fenster gesprungen und gestürzt sei. Mit Entscheidung des Kommandeurs des FTB-9, Major G., vom 11. Juli 1975 wurde der Unfall des Klägers nicht als Dienstbeschädigung anerkannt. In der daraufhin ergangenen versorgungsrechtlichen Entscheidung der Gutachterärztekommission über die Anerkennung bzw. Ablehnung einer Dienstbeschädigung vom 26. September 1975 heißt es, "ausgeschlossen durch Kdr. am 11.07.75 für umseitig genannte Diagnose - Knöchelfraktur". Schließlich wurde durch Entscheidung der Gutachterärztekommission vom 30. April 1976 eine Dienstbeschädigung für "umseitig aufgeführte Unfallfolgen - Z.n. Knöchelfraktur - auf der Grundlage d. Entscheidung d. Kommandeurs vom 11.7.75" abgelehnt und der Kläger über versorgungsrechtliche Ansprüche und Rechtsmittel belehrt. Den Entscheidungen der Gutachterärztekommission lagen ärztliche Gutachten von L. Sch. vom 17. September 1975 (Z. n. operativ versorgter medialer Knöchelfraktur rechts durch Verschraubung, Sudeck II. Grades der Fußwurzelknochen, Atrophie der Oberschenkel- und Unterschenkelmuskulatur) bzw. von Dr. T. vom 16. März 1976 (Z. n. operativ versorgter medialer Knöchelfraktur rechts mit Sudeck I. bis II. Grades der Fußwurzelknochen, Borderline-Hypertonie und Amblyopie rechts) zu Grunde. Darin heißt es jeweils, eine Fraktur sei zunächst nicht diagnostiziert worden; diese habe sich bei einer erneuten Röntgenkontrolle nach vier Wochen herausgestellt.
Der am 1. Oktober 1989 nach Botschaftsbesetzung in das Bundesgebiet übergesiedelte Kläger wies die Beklagte im August 2000 telefonisch auf seinen am 7. April 1975 erlittenen Unfall hin. Im Mai 2001 übersandte er Unterlagen zur Gewährung von Dienstbeschädigungsausgleich. Mit Bescheid vom 5. Juni 2001 und Widerspruchsbe...