Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. Besuch einer Werkstatt für behinderte Menschen. Erhebung eines Kostenbeitrags zum Mittagessen. Einkommenseinsatz. erweiterte Hilfe. § 43 Abs 2 BSHG als lex specialis. Bemessung des Kostenbeitrags. tatsächliche Kosten als Obergrenze. Kosten des Lebensunterhalts. Bedürftigkeitsprüfung. Bindungswirkung eines Bescheidungsurteils. Ermessen
Leitsatz (amtlich)
§ 43 Abs 2 BSHG (jetzt: § 92 Abs 2 SGB 12) stellt eine spezialgesetzliche Zumutbarkeitsvorschrift dar; sie verdrängt als solche die allgemeinen Regelungen über die Anrechnung von Einkommen.
Orientierungssatz
Die Heranziehung zu den Kosten für das Mittagessen bei Besuch einer Werkstatt für behinderte Menschen ist der Höhe nach grundsätzlich auf den tatsächlichen Aufwand begrenzt (vgl VG Stuttgart vom 2.12.2004 - 8 K 1300/04 = RdLH 2005, 64 und VG Sigmaringen vom 11.1.2006 - 1 K 137/05).
Normenkette
BSHG § 43 Abs. 2, § 76 Abs. 1, § 93a; SGB XII § 92 Abs. 2; SGB X § 44 Abs. 2-3; SGG § 141 Abs. 1 Nr. 1
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 21. Oktober 2010 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, in welcher Höhe der Kläger zu einem Kostenbeitrag für die Einnahme des für ihn kostenfreien Mittagsessens in der Werkstatt, einer anerkannten Werkstatt für behinderte Menschen (WfBM) in W., im Zeitraum vom 1. Mai 2004 bis 29. April 2006 herangezogen werden kann.
Der 1962 geborene Kläger leidet an einer chronisch paranoiden Psychose in Form einer Schizophrenie. Seit 2002 besucht er die WfBM in W.; Kostenträger war bis 29. April 2004 (Eingangsverfahren und Berufsbildungsbereich) der Träger der gesetzlichen Rentenversicherung. Der Kläger bezieht seit 1. Februar 2004 aus der gesetzlichen Rentenversicherung eine Rente wegen voller Erwerbsminderung (laufender Zahlbetrag ab Mai 2004 762,89 Euro, ab Juli 2004 779,82 Euro, ab 1. April 2005 771,23 Euro, ab 1. Mai 2005 777,67 Euro, ab 1. Juli 2005 773,81 Euro). Darüber hinaus verfügte er seit Eintritt in den Werkstattbereich (30. April 2004) über ein monatliches Entgelt aus der Beschäftigung in der WfBM, das sich laufend (d.h. ohne im August und November 2004 gezahlte sonstige Leistungen) ab Mai 2004 bis April 2006 auf monatlich brutto 325,00 Euro belief. Für die vom Kläger seit Dezember 2003 in N. angemietete Unterkunft waren von ihm in der streitbefangenen Zeit eine monatliche Kaltmiete von 284,00 Euro sowie monatliche Betriebskostenvorauszahlungen von 40,00 Euro aufzubringen. Der Kläger erhielt bereits seit April 1995 Eingliederungshilfe in Form ambulant betreuten Wohnens für seelisch behinderte Menschen. Aufgrund vorhandenen Vermögens aus zwei Lebensversicherungsverträgen (6.110,66 Euro und 2.372,46 Euro), die er sich im Dezember 2005 auszahlen ließ, war er insoweit allerdings von Januar bis Oktober 2006 Selbstzahler.
Im März 2004 beantragte der Kläger im Hinblick auf den anstehenden Wechsel in den Arbeitsbereich der WfbM bei dem seinerzeit noch sachlich zuständigen Landeswohlfahrtsverband die Kostenübernahme. Der LWV bewilligte ihm darauf mit Bescheid vom 6. April 2004 für die Zeit vom 30. April 2004 bis zum 29. April 2006 Leistungen der Eingliederungshilfe für den Besuch des teilstationären Arbeitsbereichs in der WfBM in W.. Mit einem weiteren Bescheid vom 6. April 2006 wurde der Kläger ferner ab 30. April 2004 zu einem Kostenbeitrag in Höhe von 3,00 Euro pro in der Werkstatt eingenommenem Mittagessen herangezogen. Dieser Betrag wurde nachfolgend von der WfbM für jedes eingenommene Mittagessen vom Arbeitsentgelt abgezogen. Beide Bescheide wurden bestandskräftig.
Mit Schreiben vom 15. Februar 2005 (Eingang am 18. Februar 2005) stellte der Kläger bei dem ab 1. Januar 2005 für die Gewährung von Eingliederungshilfe sachlich und örtlich zuständig gewordenen Beklagten einen Antrag auf Rücknahme des Kostenbeitragsbescheids gemäß § 44 Abs. 2 Satz 2 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) und bat um neue Bescheidung mit Blick auf ein zwischenzeitlich ergangenes Urteil des Verwaltungsgerichts (VG) vom 2. Dezember 2004 - 8 K 1300/04 - (juris). Mit Bescheid vom 6. April 2005 lehnte der Beklagte die Rücknahme des Bescheids vom 6. April 2004 ab; der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 16. Februar 2006). Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht - SG - (S 20 SO 1323/06) beschränkte der Kläger seine Angriffe gegen die Bescheide von vornherein auf einen den Betrag von 2,30 Euro pro Mittagessen überschreitenden Kostenbeitrag. Diesem Klagebegehren gab das SG mit Urteil vom 28. September 2007 statt.
Auf die Berufung des Beklagten änderte der Senat mit rechtskräftig gewordenem Urteil vom 21. Februar 2008 (L 7 SO 5562/07) dieses Urteil ab, verpflichtete den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 6. April 2005 (Widerspruchsbescheid vom 16. Februar 2006), den Bescheid des LWV vom 6. April 2004 mit Wirkung ab dem 18. Februar 200...