Entscheidungsstichwort (Thema)
Künstlersozialversicherung. Abgabepflicht. abgabepflichtiges Entgelt. Gewinnzuweisungen an Gesellschafter einer KG. Rücknahme von rechtswidrigen Abgabebescheiden
Leitsatz (amtlich)
Gewinnzuweisungen an die Gesellschafter einer Kommanditgesellschaft sind keine Entgelte für künstlerische Leistungen, auch wenn sie u.a. auf einer künstlerischen Tätigkeit der Gesellschafter beruhen.
Orientierungssatz
Eine Rücknahme von rechtswidrigen Abgabebescheiden ist nach § 27 Abs 1a Satz 2 KSVG unter Beachtung dessen Voraussetzungen ohne Ausübung von Ermessen oder Prüfung von Vertrauensschutzaspekte soweit und solange möglich, wie der Anspruch der Verwaltung auf Erhebung der KSA gemäß §§ 23 ff KSVG nicht verjährt ist. Der Abgabebescheid ist rechtswidrig, wenn aufgrund einer unrichtigen Meldung nach § 27 Abs 1 KSVG bzw aufgrund einer unrichtigen Schätzung iSd § 27 Abs 1 Satz 3 KSVG zu geringe KSA festgesetzt wurden. Wurden zu hohe KSA festgesetzt, so richtet sich die Rücknehmbarkeit des Abgabenbescheids nach § 44 SGB 10, der durch § 27 Abs 1a Satz 2 KSVG nicht verdrängt wird.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 09.02.2011 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert wird für beide Instanzen auf je 19.021,44 € festgesetzt.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, in welcher Höhe die Klägerin an die Beklagte Künstlersozialabgabe (KSA) nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG) für die Jahre 2002 bis 2004 zu zahlen hat.
Gegenstand des Unternehmens der Klägerin, einer 1999 als Familiengesellschaft gegründeten KG, ist die Veranstaltung von künstlerischen Darbietungen jeder Art, ua Musik- und Konzertveranstaltungen, die Veranstaltung von Schauspielen, Musicals und ähnlichen Events. Gegenstand des Unternehmens ist ferner der Erwerb von Urheberrechten aller Art und deren Vermarktung. Im Wesentlichen werden dabei die Werke und Auftritte der Künstlergruppe C. vermarktet, die aus dem Künstler (Sänger) Co. Cor. (im Folgenden: CC) sowie dessen Sohn, dem Künstler (Sänger) L. Cor. (im Folgenden: LC) besteht, die zusammen aber auch einzeln auftreten. Zusätzlich werden auch Auftritte der Tochter A. Cor. (im Folgenden: AC) als Sängerin vermarktet bzw veranstaltet. Persönlich haftende Komplementärin der KG ist die Coc. M.verlags GmbH, deren Gesellschafter die Eheleute Co. und I. Cor. sind; Kommanditisten waren in den streitigen Jahren I. Cor., die Ehefrau von CC (im Folgenden die Ehefrau), mit der er im Güterstand der Zugewinngemeinschaft lebt, AC (ausgeschieden zum 17.09.2009), die Tochter E. Cor. (im Folgenden EC, ausgeschieden zum 17.09.2009) sowie LC. Die Ehefrau, LC und AC hatten eine Gewinnverteilung wie folgt vereinbart: Gewinnanteil Ehefrau: 35,7142 %, Gewinnanteil LC: 21,4285 %, Gewinnanteil AC 21,4285%.
Im Jahr 1999 trat Streit zwischen dem Finanzamt und CC auf. In diesem Zusammenhang betrieb das Finanzamt die Zwangsvollstreckung gegen CC. Dieser wollte einerseits seine Familie versorgt sowie die bestehenden Verbindlichkeiten (zB für das Haus) bedient wissen, andererseits keine pfändbaren Einkünfte erzielen. Deshalb vereinbarten CC und seine Familie, dass die Klägerin die Vermarktungsrechte für die Tätigkeit des CC übernimmt. Die Klägerin bediente dafür die Schulden des CC mit einem Betrag von weit über 400.000,00 DM. Um eine Pfändung des Finanzamts zu vermeiden, sollte die Klägerin alleiniger Vertragspartner der Auftraggeber werden, weshalb sie mit den Auftraggebern (Veranstaltern) Engagementverträge hinsichtlich der entgeltlichen Erbringung musikalischer Darbietungen schloss, an denen vornehmlich CC, LC und auch AC sowie eine Band teilnahmen. Die Klägerin zahlte der Komplementärin eine Vergütung für deren Haftungsrisiko und das Gehalt ihrer Geschäftsführerin, der Ehefrau. Diese bezog im Jahr 2002 steuerpflichtige Einkünfte aus dieser Beteiligung iHv 201.002,00 €, im Jahr 2003 iHv 118.686,00 €. Die Kommanditisten der KG haben der Klägerin Darlehen gegeben.
Um zu vermeiden, dass für die Auftritte der als Künstler tätigen Kommandisten KSA anfällt, wurde am 08.09.2001 eine Vereinbarung zwischen den Gesellschaftern, der Klägerin und CC dahingehend geschlossen, dass die Künstler CC, LC und AC “mit Wirkung vom 01.04.1999 unentgeltlich für die Gesellschaft und sämtliche Beteiligten tätig werden„; auch verpflichteten sie sich zur Erstattung bereits ausbezahlter Vergütungen (zum Inhalt der Vereinbarung wird auf Blatt 78 f der beigezogenen Akte des Verfahrens S 3 KR 1071/04 ER sowie auf Blatt 19 f der Akte des Verfahrens S 9 KR 3194/08 Bezug genommen). CC sowie AC und LC erhielten daraufhin im streitigen Zeitraum weder von den Auftraggebern noch von der Klägerin Zahlungen für ihre künstlerischen Tätigkeiten. Die Gesellschafter (Ehefrau, AC, LC und EC) erhielten Gewinnzuweisungen entsprechend ih...