Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Hilfe zur Pflege. Vermögenseinsatz. Wohnungsrecht. Veräußerung der Immobilie. Erlöschen bei Aufnahme in ein Pflegeheim
Leitsatz (amtlich)
Zur Berücksichtigung des Wertes eines Nießbrauchs (Wohnrechts) bei Veräußerung der Immobilie, an der der Nießbrauch bestand (zur Frage des wirtschaftlichen Wertes vergleiche LSG Stuttgart vom 13.4.2022 - L 2 SO 3659/20).
Orientierungssatz
1. Ein Wohnungsrecht nach § 1093 BGB erlischt, wenn seine Ausübung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen dauerhaft unmöglich ist (vgl BGH vom 7.12.1984 - V ZR 189/83 = BGHZ 93, 142). Dies ist ua der Fall, wenn das Recht niemandem mehr einen Vorteil bietet (vgl BGH vom 19.1.2007 - V ZR 163/06 = NJW 2007, 1884 und vom 13.7.2012 - V ZR 206/11 = NJW 2012).
2. An dieser Voraussetzung fehlt es, wenn das Wohnrecht aufgrund der Aufnahme des Berechtigten in ein Pflegeheim nicht ausgeübt werden kann, ihm jedoch gem § 1092 Abs 1 S 2 BGB die Möglichkeit verbleibt, mit Gestattung des Grundstückseigentümers die Ausübung seines Rechts anderen zu überlassen und dadurch zB für sich einen Mietanspruch zu begründen (vgl BGH vom 2.6.1972 - V ZR 154/70 = BGHZ 59, 51).
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 14. Dezember 2022 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten steht die Gewährung von Hilfe zur Pflege im Zusammenhang mit ungedeckten Heimkosten im Streit.
Der 1928 geborene Kläger ist verwitwet und hat eine Tochter aus erster Ehe und einen Sohn (L1) aus zweiter Ehe. Er leidet an Demenz und ihm ist von der BKK 24-Pflegekasse mit Bescheid vom 13. Juli 2020 seit 1. Juni 2020 Pflegegrad 4 zuerkannt; davor war dem Kläger Pflegegrad 3 zuerkannt. Seit 31. August 2019 (Heimvertrag vom 28. August 2019) ist der Kläger vollstationär im Pflegeheim Haus E1 der Stiftung Haus L2 in A1 untergebracht. Im Mai 2020 fiel dafür ein Kostenaufwand von 2.775,95 € (4.037,95 € abzüglich der Leistungen der Pflegekasse in Höhe von 1.662,00 €), im Juni 2020 ein Kostenaufwand in Höhe von 2.790,45 € (4.052,45 € abzüglich der Leistung der Pflegekasse in Höhe von 1.262,00 €) und im Juli 2020 wiederum 2.775,95 € (4.037,95 € abzüglich der Leistung der Pflegekasse in Höhe von 1.262,00 €) an. Der Kläger erhielt 2020 Alters- und Witwenrenten in Höhe von 1.222,19 € und 464,79 € netto monatlich sowie eine Betriebsrente in Höhe von 909,26 €. Die Alters- und Witwenrenten bezog er bis einschließlich 30. Juni 2020 in gleicher Höhe. Die Betriebsrente erhöhte sich ab Januar 2020 auf 921,48 €. Ab 1. Juli 2020 bezog der Kläger Alters- und Witwenrenten in Höhe von 1.264,33 € und 480,84 € netto monatlich sowie eine Betriebsrente in Höhe von 950,33 € netto monatlich.
Am 8. November 1995 schloss der Kläger mit seiner zweiten Ehefrau einen Erbvertrag, mit dem die Ehefrau den Sohn als Alleinerben einsetzte (§ 2) und dem Kläger den Niesbrauch an ihrem gesamten Nachlass vermachte (§ 3 Abs. 1). Der Kläger wurde zum Testamentsvollstrecker ernannt mit der Aufgabe, sich den Niesbrauch am Nachlass zu verschaffen (§ 5). Am 10. November 2015 verstarb die zweite Ehefrau des Klägers. Im Nachlass war das Grundstück W1 in O1, in dem der Kläger bis zu seinem Wechsel in das Haus E1 lebte. Der Kläger nahm das Amt des Testamentsvollstreckers an (Erklärung vom 23. Januar 2016) und legte dies am 7. Oktober 2019 nieder. Eine Grundbucheintragung des Niesbrauchs erfolgte nicht. Die laufenden Kosten des Grundstücks trug der Kläger bis zum Verkauf.
Am 27. Februar 2020 verkaufte der Sohn des Klägers das Grundstück in O1 für 269.000,00 €; dieser Betrag ist beim Sohn des Klägers noch vorhanden.
Am 21. Juni 2020 beantragte der Kläger Hilfe zur Pflege. Der Sohn des Klägers gab mit Schreiben vom 2. August 2020 an, seinem Vater sei der Niesbrauch auf Lebenszeit am gesamten Nachlass zugewendet worden. Er habe daher bis zu seinem Umzug ins Pflegeheim am 31. August 2019 mietfrei im Haus gewohnt. Der Nachlass bestehe nun nur noch aus dem Verkaufserlös des Hauses, sodass sich der Niesbrauch nach dem Verkauf des Hauses nur auf die Zinsen des Verkaufserlöses beziehe und aufgrund der derzeitigen Zinspolitik wertlos sei.
Mit Bescheid vom 8. Februar 2021 (in der Akte des Beklagten datiert auf den 14. März 2022 - den Zeitpunkt des Ausdrucks der digitalen Akte auf gerichtliche Anforderung -) lehnte der Beklagte den Antrag ab. Der Kläger habe Anspruch auf den Niesbrauch, der nicht auf die Zinsen des Verkaufserlöses beschränkt sei. Er bestimme sich nach dem Wert der Wohnung/Mietzins und der Lebenserwartung. Damit könne der Kläger den fehlenden Betrag von 308,44 € mtl. decken.
Hiergegen erhob der Kläger am 8. März 2021 Widerspruch mit der Begründung, die Geltendmachung des Niesbrauchs sei verjährt. Die Wohnung sei nicht vermietbar gewesen.
Auf den Hinweis des Beklagten, dass das Nießbrauchsrecht tatsächlich ausgeübt worden sei, da der Kläger das Haus bewohnt habe, trug der Kläger weite...