Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialversicherungspflicht bzw -freiheit. Physiotherapeutin, die im Rahmen eines Nutzungsvertrags Räume einer Praxis für Physiotherapie für die Behandlung eigener Patienten nutzt. Entrichtung eines pauschalen monatlichen Mietzinses zuzüglich einer Nutzungsgebühr. abhängige Beschäftigung. selbstständige Tätigkeit. Abgrenzung
Leitsatz (amtlich)
Zur Sozialversicherungsfreiheit einer Physiotherapeutin, die im Rahmen eines Nutzungsvertrags Räume einer Praxis für Physiotherapie für die Behandlung eigener Patienten nutzt, und hierfür einen pauschalen Mietzins von 100 € monatlich zuzüglich einer Nutzungsgebühr in Höhe von 35 % ihres Bruttoumsatzes entrichtet.
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 26.04.2023 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, welche ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren endgültig auf
5.000 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Streitig ist, ob die Beigeladene bei der seit dem 01.04.2019 in der Praxis der Klägerin ausgeübten Physiotherapeutin der Sozialversicherungspflicht unterliegt.
Die Klägerin betreibt eine Praxis für Physiotherapie (M1 Institut). Die Beigeladene ist seit dem 01.04.2019 in der von der Klägerin betriebenen Praxis tätig. Die Klägerin verfügt über eine Zulassung zur Versorgung Versicherter in der gesetzlichen Krankenversicherung mit physiotherapeutischen Leistungen. Die Beigeladene besitzt keine solche Zulassung.
Am 14.01.2019 schloss die Klägerin (als „Praxisinhaberin" bezeichnet) mit der Beigeladenen (als „Nutzende" bezeichnet) einen als Nutzungsvertrag bezeichneten Vertrag. Dieser enthält u.a. folgende Regelungen:
§ 1 Zweck des Vertrages
Der Vertrag regelt das Mietverhältnis, die Nebenkosten und die Nutzungsgebühr, die von der Beigeladenen an die Klägerin zu entrichten sind, um die Praxisräume im M1 Institut selbständig und in eigener Verantwortung nutzen zu dürfen.
§ 2 Mietobjekt und -höhe
Die Beigeladene mietet im M1 Institut der Klägerin die Praxisräume im Erd- und Kellergeschoss für den Betrag von 100,00 Euro im Monat inklusive Nebenkosten (Heizung, Wasser, Strom, Reinigung). Die Raumaufteilung erfolgt in Absprache mit der Klägerin.
§ 3 Einrichtung
Die Beigeladene ist berechtigt, die Praxisausstattung zu nutzen, insbesondere die Behandlungsbank und die anderen notwendigen Praxisutensilien zur Ausübung ihrer Tätigkeit.
§ 4 Umsatzanteil
Die Beigeladene verpflichtet sich, zzgl. zur Grundmiete eine Nutzungsgebühr von 35% des in den gemieteten Praxisräumen erzielten Brutto-Umsatzes an die Klägerin abzuführen. Dieser Betrag ist nach Ende eines Kalendervierteljahres innerhalb von drei Wochen zu überweisen. Auf Verlangen der Klägerin wird die Beigeladene die Behandlungen anhand ihrer Unterlagen nachweisen.
§ 5 Laufzeit, Kündigung
Der Vertrag gilt ab dem 01.04.2019 und ist nicht befristet.
§ 6 Haftungen
Die Beigeladene und die Klägerin betreiben ihre physiotherapeutische Tätigkeit jeweils in eigener Verantwortung selbständig; insbesondere haften sie deshalb auch für die jeweilige Tätigkeit selbst. Beide Parteien unterhalten jeweils eigene Haftpflichtversicherungen mit Mindestdeckungssummen.
Am 15.01.2019 stellten die Klägerin und die Beigeladene bei der Beklagten einen Antrag auf Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status gemäß § 7a Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) bezüglich der Tätigkeit der Beigeladenen als Physiotherapeutin und beantragten die Feststellung, dass eine abhängige Beschäftigung nicht vorliege. Hierzu legten sie den Nutzungsvertrag und eine Rechnung der Beigeladenen an die Klägerin vom 30.04.2019 in Höhe von 130,68 Euro vor. Mit Schreiben vom 16.02.2019 sowie vom 20.05.2019 machten die Beigeladene und die Klägerin schriftlich nähere Angaben zu der Tätigkeit der Beigeladenen.
Unter dem 18.06.2019 hörte die Beklagte die Klägerin sowie die Beigeladene zur beabsichtigten Feststellung über das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung der Beigeladenen und der Versicherungspflicht in der Kranken-, der Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung an. Die Klägerin wurde ferner aufgefordert, sämtliche von der Beigeladenen an sie ausgestellte Rechnungen vorzulegen.
Die Klägerin reichte im Anhörungsverfahren Rechnungen der Beigeladenen für die Monate Mai 2019 (in Höhe von 987,50 Euro) und Juni 2019 (in Höhe von 854,64 Euro) sowie Auszüge aus dem von ihr verwendeten Programm „Theorg" ein und ergänzte schriftlich ihre Ausführungen zur Ausübung der Tätigkeit der Beigeladenen.
Mit Bescheid vom 09.07.2019 stellte die Beklagte fest, dass die Tätigkeit der Beigeladenen als Physiotherapeutin bei G1 Krankengymnastik, seit dem 01.04.2019 im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt werde und in dem Beschäftigungsverhältnis Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung bestehe...