Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialversicherungspflicht bzw -freiheit. Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführer ohne Sperrminorität- schuldrechtliche Stimmrechtsvereinbarung. abhängige Beschäftigung. selbstständige Tätigkeit
Leitsatz (amtlich)
Ein Gesellschafter-Geschäftsführer, der an der Gesellschaft lediglich einen Anteil von 25 % ohne Sperrminorität hält, ist auch unter Berücksichtigung einer daneben bestehenden schuldrechtlichen Stimmrechtsvereinbarung abhängig und damit sozialversicherungspflichtig beschäftigt.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 9. Januar 2018 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten auch für das Berufungsverfahren.
Der Streitwert wird auf 117.758,26 € festgesetzt.
Tatbestand
Streitig ist die Versicherungspflicht der Beigeladenen zu 1 und zu 2 zur Renten-, Arbeitslosen- und teilweise zur Kranken- und Pflegeversicherung sowie die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen nebst Umlagebeiträgen in Höhe von 117.758,26 € für die Tätigkeit als Minderheits-Gesellschaftergeschäftsführer bei der Klägerin, einem Bauunternehmen, für den Zeitraum vom 1.1.2010 bis 31.12.2013 nach einer Betriebsprüfung.
Die Klägerin ist eine Familien-GmbH. Nach dem Ausscheiden des Vaters halten die 4 Brüder, die Beigeladenen zu 1 (Ma.) und zu 2 (Mi.) sowie U. und T. S. je 25 % der Anteile an der GmbH. Der Beigeladene zu 1 ist seit 2006 und der Beigeladene zu 2 seit 1994 Geschäftsführer, die Brüder U. und T. S. sind abhängig beschäftigt bei der GmbH. Die Geschäftsführer sind einzelvertretungsberechtigt und vom Selbstkontrahierungsverbot befreit. Außer im Falle eines wichtigen, gerichtlich festzustellenden Grundes, ist ihre Abberufung nur je mit ihrer Zustimmung möglich (§ 5 Abs. 2 Unterabsatz 3 des Gesellschaftsvertrages ≪GV≫ sowie Nr. 1 Abs. 1 der Geschäftsführer Verträge ≪GFV≫ vom 28.7.2009, Bl. 44 ff. SG Akte). Beschlüsse werden mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst (§ 7 Abs. 1 GV, Bl. 29 SG Akte). Die Gesellschafterversammlung kann der Geschäftsführung allgemeine oder besondere Weisungen erteilen. Insbesondere ist ihr die Beschlussfassung unter anderem über die Abberufung und Änderung der Anstellungsbedingungen der bereits berufenen Geschäftsführer vorbehalten, über welche sie mit einer Mehrheit von 75 % entscheidet (§ 7 Abs. 9 S. 2 und 3 Buchst. g GV, Bl. 30 SG-Akte).
In den GFV ist weiter geregelt:
2. Der Geschäftsführer erhält für seine Tätigkeit eine gewinn- und liquiditätsabhängige Vergütung. Hierauf werden monatliche Vorauszahlungen in Höhe der bisherigen Vergütung bezahlt.
Die Bezüge des Gesellschaftergeschäftsführers werden in regelmäßigen Abständen überprüft. Die Überprüfung erfolgt jeweils zum 30. Juni und zum Jahresende sowie bei Vorliegen der Schlussbilanz.
Die bisherigen Tantiemeregelungen bleiben vorbehaltlich einer anderweitigen Entscheidung/Überprüfung nach Maßgabe des vorgenannten Absatzes bestehen und gelten ebenfalls als Vorauszahlung.
3. Der Geschäftsführer bestimmt Art und Umfang seiner Arbeitszeit selbst. Hierbei sind die Belange der Gesellschaft zu berücksichtigen.
Längere Abwesenheitszeiten, wie beispielsweise Urlaubsabwesenheit oder Krankheit, sind mit dem anderen Geschäftsführer abzustimmen.
In den früheren Fassungen der GFV der Beigeladenen zu 1 und zu 2 (vom 10.4.2006 und vom 14.1.1994, vgl. Bl. 113, 118 SG Akte) waren feste Monatsgehälter, die Gewährung vermögenswirksamer Leistungen, Weihnachtsgratifikation, Urlaubsgeld, Entgeltfortzahlungen für den Krankheits- und Todesfall vereinbart; Überstunden, Mehrarbeit sowie Sonn- und Feiertagsarbeit wurde nicht gesondert vergütet. Es bestand Anspruch auf Anpassung der Bezüge an geänderte Verhältnisse. Den Geschäftsführern wird ein PKW zur geschäftlichen Nutzung bei Kostentragung durch die Gesellschaft zur Verfügung gestellt. Zusätzlich ist eine Tantieme für die tätigen Gesellschafter in Höhe von je 4 % des Jahresüberschusses der Handelsbilanz vor Verrechnung mit Verlustvorträgen und vor Abzug der Körperschafts- und Gewerbesteuer vereinbart (Tantiemevereinbarung vom 9.4.2006, Bl. 122 SG Akte).
Am 28.7.2009 schlossen die Gesellschafter einen Stimmbindungsvertrag, wonach in Zukunft bei allen Gesellschafterbeschlüssen übereinstimmend mit Ja oder Nein gestimmt wird. Diese Vereinbarung gilt auf unbestimmte Zeit und kann nur aus wichtigem Grund oder unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von 3 Monaten zum Halbjahr oder zum Jahresende gekündigt werden (Nr. 2 des Stimmbindungsvertrages, Bl. 33 der SG Akte).
Vom 26.3.2014 bis 19.1.2015 fand eine Betriebsprüfung bei der Klägerin für den Prüfzeitraum 1.1.2010 bis 31.12.2013 statt. Die Klägerin legte unter anderem Verträge über Darlehen vor, die ihr der Beigeladene zu 2 im Jahre 2010 i.H.v. 36.000 €, 46.000 € und 24.000 € gewährt hatte (Bl. 47 ff. VA Bd. 1). Zudem legte sie unbeschränkte Bürgschaften der Beigeladenen zu 1 und zu 2 zur Sicherung aller Forderungen der Bezirkssparkasse B. gegenüber der Klägerin vor (Bl. 53 ff. VA Bd...