Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Regelleistungen. Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung. Diabetes mellitus. Zuzahlungen zu Arznei- und Verbandmittel. Praxisgebühr. Unterkunft und Heizung. Kosten für Warmwasseraufbereitung
Orientierungssatz
1. Die Höhe der Regelleistungen nach § 20 SGB 2 sowie das Verfahren der Regelsatzbemessung begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
2. Den verfassungsrechtlichen Bedenken, die sich aus der unterschiedlichen Regelung im SGB 2 einerseits - nur Darlehensgewährung bei unabweisbarem Bedarf (§ 23 Abs 1 S 1 SGB 2) - und dem SGB 12 andererseits - individuelle Berücksichtigung des unabweisbaren Bedarfs abweichend vom Regelsatz (§ 28 Abs 1 S 2 SGB 12) - herleiten, könnte durch eine Modifizierung der durch § 23 Abs 1 S 3 SGB 2 eröffneten Aufrechnungsbefugnis begegnet werden.
3. Bei Diabetes mellitus ist grundsätzlich kein Mehrbedarf gem § 21 Abs 5 SGB 2 wegen kostenaufwändiger Ernährung zu gewähren.
4. Die Zuzahlungen zu Arznei- und Verbandmittel sowie die Praxisgebühr sind Bestandteil des Regelleistung.
5. Kosten der Warmwasserbereitung sind bereits in der Regelleistung enthalten und daher bei den Leistungen für Heizung gemäß § 22 Abs 1 SGB 2 in Abzug zu bringen.
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 29.06.2006 wird zurückgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) im Streit.
Die 1959 geborene Klägerin ist alleinstehend und bewohnt eine 1-Zimmer-Wohnung, welche mit zwei Einzelöfen und einem Heizlüfter im Bad beheizt wird. Für die Wohnung zahlt sie eine Kaltmiete in Höhe von 260,00 Euro zzgl. Kosten für Gas in Höhe von 57,00 Euro monatlich (bis Februar 2005: 48,00 Euro monatlich; bis einschließlich August 2005: 52,00 Euro monatlich). Nach dem Bezug von Arbeitslosenhilfe im Jahr 2004 beantragte sie bei der Beklagten im Oktober 2004 die Gewährung von Arbeitslosengeld II. Die Klägerin legte eine Bescheinigung ihrer Hausärztin vor, wonach bei ihr auf Grund eines Diabetes mellitus Diabeteskost erforderlich sei.
Die Beklagte gewährte der Klägerin mit Bescheid vom 13.11.2004 ab dem 01.01.2005 Arbeitslosengeld II von Januar bis Mai 2005 in Höhe von 794,56 Euro und für den Monat Juni 2005 in Höhe von 777,16 Euro, wobei die Beklagte zusätzlich zu einem befristeten Zuschlag nach § 24 SGB II bereits einen monatlichen Mehrbedarf von 25,56 Euro für kostenaufwendige Ernährung berücksichtigte.
Ihren Widerspruch begründete die Klägerin damit, dass der Mehrbedarf für kostenaufwendige Ernährung zu gering sei und ihr einschließlich Praxisgebühr und Zuzahlungen deswegen in Höhe von mindestens 50,00 Euro monatlich Kosten entstünden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 04.02.2005 bewilligte die Beklagte daraufhin für die Zeit von Januar bis Mai 2005 795,23 Euro und für Juni 2005 775,18 Euro und wies den darüber hinausgehenden Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück.
Die Klägerin hat am 01.03.2005 Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben. Sie machte geltend, dass die Regelleistung der Beklagten in unzulässiger Weise zu niedrig bemessen sei, da eine Anpassung des 1997 errechneten Bedarfs trotz stetiger Inflation nicht erfolgt sei. Außerdem seien Stromkosten in Höhe von 11,00 Euro zusätzlich zu berücksichtigen, da sie ihr Bad mit einem Heizlüfter beheize.
Während des Klageverfahrens erfolgten mehrere Änderungsbescheide der Beklagte; streitgegenständlich ist insoweit nunmehr der Bescheid vom 15.11.2005, mit dem der Klägerin 806,33 Euro für Januar und Februar 2005, 689,26 Euro für März 2005, 810,33 Euro für April 2005, 802,82 Euro für Mai 2005 und 782,72 für Juni 2005 bewilligt wurden. Mit weiterem Bescheid vom 15.11.2005 wurden für Juli 2005 735,82 Euro und für August 803,35 Euro bewilligt, sowie mit Bescheid vom 30.11.2005 für die Zeit ab September 2005 bis Mai 2006 743,82 Euro monatlich.
Das SG hat am 29.06.2006 eine mündliche Verhandlung durchgeführt, in der die Beklagte anerkannt hat, dass der Klägerin für März 2005 gemäß dem Widerspruchsbescheid vom 04.02.2005 795,23 Euro und gemäß dem Bescheid vom 04.03.2005 für Mai 2005 807,56 Euro und für Juni 2005 784,46 Euro zu gewähren sind. Die Klägerin hat das Teilanerkenntnis der Beklagten angenommen und ihre Klage im Übrigen aufrecht erhalten.
Die insoweit aufrecht erhaltene Klage hat das SG mit Urteil vom 29.06.2006 als unbegründet abgewiesen. Die Beklagte habe in den letzten Fassungen ihrer Bescheide Arbeitslosengeld II in zutreffender Höhe bewilligt. Zuzüglich zu der Regelleistung von 345,00 Euro monatlich und dem befristeten Zuschlag seien die Kaltmiete von 260,00 Euro sowie die Gaskosten von 48,00 Euro (von Januar und Februar 2005), 52,00 Euro (März bis Juli 2005), 126,53 Euro (August 2005) und 57,00 Eu...