Entscheidungsstichwort (Thema)

Fremdrentenrecht. Feststellung der Vertriebeneneigenschaft. Bindung des Rentenversicherungsträgers an die Entscheidung der Vertriebenenbehörde. Tatbestandswirkung

 

Orientierungssatz

1. Der Rentenversicherungsträger ist an die Statusfeststellung iS des § 100 Abs 2 S 3 BVFG - sowohl in positiver als auch in negativer Hinsicht - gebunden (vgl BSG vom 23.6.1999 - B 5 RJ 44/98 R = SozR 3-5050 § 1 Nr 4, LSG Essen vom 28.1.2000 - L 4 RJ 109/99 = MittLVA BE 2000, 220 und LSG Stuttgart vom 25.11.2003 - L 11 RJ 3127/03).

2. Diese Tatbestandswirkung hat zur Folge, dass weder die Rentenversicherungsträger noch die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit eigenständig prüfen und entscheiden können, ob die Vertriebeneneigenschaft gegeben ist.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 17.10.2006; Aktenzeichen B 5 RJ 21/05 R)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts vom 12. November 2002 aufgehoben. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 08. Februar 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08. Juli 1999 verurteilt, die Zeiten nach dem Fremdrentengesetz dem Grunde nach festzustellen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten aus beiden Rechtszügen zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Vormerkung von Beitrags- bzw. Beschäftigungszeiten.

Der ... 1960 in U geborene Kläger reiste im Januar 1997 aus Sibirien in Deutschland ein. Er ist im Besitz eines deutschen Passes, eines Staatsangehörigkeitsausweises vom 13.06.1996 und einer Einbürgerungsurkunde seiner Eltern vom 23.09.1944. Am 29.12.1997 beantragte der Kläger bei der Beklagten Kontenklärung. Das dazu vorgelegte Arbeitsbuch enthält Beschäftigungszeiten vom 21.08.1978 bis 08.01.1997. Auf Rückfrage der Beklagten teilte der Kläger mit, er sei kein Spätaussiedler und habe weder einen Registrierschein noch eine Spätaussiedlerbescheinigung. Er sei aber als Vertriebener "zuspruchsberechtigt" nach dem Fremdrentengesetz (FRG). Der Nachweis seiner Vertriebeneneigenschaft werde gemäß § 100 Abs. 2 Bundesvertriebenengesetz (BVFG) von der Leistungsbehörde bei der Vertriebenenbehörde beantragt.

Die Beklagte bat daraufhin das Landratsamt A Kreis als Vertriebenenbehörde "zur Entscheidung über die Anrechnung von Zeiten nach dem FRG um Übersendung einer Bescheinigung nach § 100 BVFG". Das genannte Landratsamt bescheinigte der Beklagten, dass der Kläger "Vertriebener im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 2 BVFG (Umsiedler)" sei.

Mit Bescheid vom 08.02.1999 lehnte die Beklagte die Vormerkung der geltend gemachten Zeiten ab, weil die persönlichen Voraussetzungen des § 1 FRG nicht vorlägen. Für Personen, die nach dem 31.12.1992 zugezogen seien, sei ausschließlich die Spätaussiedlereigenschaft maßgebend für die Zugehörigkeit zu § 1 a FRG. Mit seinem dagegen eingelegten Widerspruch verwies der Kläger darauf, die vorliegende Bescheinigung nach § 100 BVFG des Landratsamtes sei für den Rentenversicherungsträger verbindlich. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 08.07.1999 zurück. Maßgebend sei seit dem 01.01.1993 ausschließlich die Spätaussiedlereigenschaft. Wenn bei Umsiedlern im Sinne des § 1 Abs. 2 BVFG nicht parallel dazu auch die Spätaussiedlereigenschaft vorliege, sei eine Bescheinigung nach § 100 Abs. 2 Satz 3 BVFG unerheblich.

Dagegen hat der Kläger am 04.08.1999 beim Sozialgericht Ulm (SG) Klage erhoben. Er hat im Wesentlichen vorgebracht, die Bescheinigung nach § 100 BVFG sei für den Rentenversicherungsträger bindend. Das SG hat von dem genannten Landratsamt die Auskunft vom 05.09.2002 eingeholt, wonach die Eltern des Klägers 1944 den Status von Umsiedlern nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 BVFG erlangt hätten. Der nach der Vertreibung geborene Sohn habe nach § 7 BVFG in der bis Ende 1992 geltenden Fassung den vertriebenenrechtlichen Status der Eltern im Wege der Ableitung erworben. Die Bescheinigung vom 04.11.1998 sei kein Verwaltungsakt, sondern ein Verwaltungsinternum. Durch Erlass des Regierungspräsidiums vom 16.12.2000 sei inzwischen klargestellt worden, dass für Personen im Sinne von § 1 Abs. 2 Nr. 2 i. V. m. § 7 BVFG a. F., die nach dem 31.12.1992 in das Bundesgebiet eingereist seien, eine Bescheinigung nach § 100 Abs. 2 BVFG nicht mehr erteilt werden könne. Die Beklagte hat gegenüber dem SG an ihrem Rechtsstandpunkt festgehalten. Das SG hat in einem Termin vom 27.08.2002 den Kläger persönlich gehört und sodann ohne mündliche Verhandlung durch Urteil vom 12.11.2002 die Klage abgewiesen. Die Beklagte habe es zu Recht abgelehnt, die vom Kläger zurückgelegten Beitrags- und Beschäftigungszeiten vorzumerken, weil der Kläger sein Herkunftsgebiet erst nach dem 31.12.1993 (muss heißen 1992) verlassen habe. Seit dem 01.01.1993 sei nur noch die Spätaussiedlereigenschaft maßgebend. Der Kläger sei zwar, durch das Landratsamt bescheinigt, Umsiedler. Da nach § 100 Abs. 2 Satz 3 BVFG n. F. die Vertriebenen- oder Flüchtlingseigenschaft nur noch auf Ersuchen einer Behörde festgestellt werde, habe der Kl...

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