Entscheidungsstichwort (Thema)
Verzinsungspflicht für eine Rentennachzahlung. unvollständiger Antrag
Leitsatz (amtlich)
1. Die Verzinsungspflicht einer Rentennachzahlung nach § 44 SGB 1 setzt grundsätzlich voraus, dass ein vollständiger Leistungsantrag vorliegt und der Antragsteller alle Tatsachen angegeben hat, die er angeben muss und auch angeben kann.
2. Ein hiernach unvollständiger Antrag gilt als vollständig, wenn die verbliebene Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit des Antrags ausschließlich vom Leistungsträger zu vertreten ist.
Orientierungssatz
Zum Leitsatz 2 vgl LSG Celle-Bremen vom 18.11.2008 - L 12 AL 185/05 sowie vom 29.4.2014 - L 2 R 387/13.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 12. September 2014 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist ein Zinsanspruch des Klägers.
Der 1955 geborene Kläger erlitt im Mai 2009 einen Schlaganfall, infolgedessen seine Ehefrau als Betreuerin am 11.08.2009 einen Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung stellte. Hierbei gab sie an, der Kläger sei vom 04.04. bis zum 30.06.1986 arbeitslos gewesen. Die Frage nach Anrechnungszeiten (u.a. Arbeitslosigkeit oder Leistungen von der Agentur für Arbeit) verneinte sie, der Fragebogen für Anrechnungszeiten V0410 wurde dementsprechend nicht ausgefüllt. Auf die Bitte der Beklagten, hinsichtlich der Arbeitslosigkeit einen Nachweis zu übersenden, teilte die Ehefrau des Klägers telefonisch am 06.10.2009 mit, dass es sich bei der Zeit vom 04.04. bis 30.06.1986 um eine Zeit zwischen zwei Beschäftigungen ohne Meldung bei einem Arbeitsamt gehandelt habe. Unterlagen über Arbeitslosigkeit lägen nicht vor. Schriftlich wiederholte sie diese Angabe mit Schreiben vom 06.10.2009 (“war nicht arbeitssuchend gemeldet„). Die Beklagte lehnte daraufhin den Antrag auf Rentengewährung mit Bescheid vom 19.10.2009 ab, da die Zeit vom 04.04. bis 30.06.1986 nicht mit einer Anwartschaftserhaltungszeit belegt sei und damit die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien.
Mit Schreiben vom 27.01.2011 legte der Kläger, nunmehr vertreten durch einen Rechtsanwalt, Widerspruch gegen den Bescheid der Beklagten vom 19.10.2009 ein und führte u.a. aus, er habe sich sofort nach Erhalt der fristlosen Kündigung seines letzten Arbeitgebers an das Arbeitsamt H. gewandt und um Vermittlung entsprechender Stellen gebeten. Soweit er sich noch erinnere, sei er dreimal beim Arbeitsamt gewesen, und es seien ihm verschiedene potentielle Arbeitgeber genannt worden. Es möge sein, dass er versehentlich parallel dazu nicht auch einen Arbeitslosengeldantrag gestellt habe. Hierauf komme es jedoch nicht an. Fakt sei, dass er sich sofort beim Arbeitsamt gemeldet und sich habe vermitteln lassen. Mit Widerspruchsbescheid vom 11.08.2011 wies die Beklagte diesen Widerspruch als verspätet zurück. Die hiergegen gerichtete Klage beim Sozialgericht Reutlingen (SG, S 3 R 2621/11) wurde übereinstimmend für erledigt erklärt.
Gleichzeitig wertete die Beklagte das Schreiben des Klägers vom 27.01.2011 im Einvernehmen mit dem Kläger als Überprüfungsantrag nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) und lehnte mit Bescheid vom 20.09.2012 die Rücknahme des Bescheides vom 19.10.2009 ab, da der Kläger weder neue Beweismittel vorgelegt noch neue Tatsachen vorgetragen habe, die geeignet seien, eine für ihn günstigere Entscheidung zu treffen. Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22.02.2013 zurück.
Hiergegen erhob der Kläger am 07.03.2013 Klage vor dem SG (S 3 R 666/13) und legte zusammen mit der Klageschrift einen Bewilligungsbescheid des Arbeitsamtes N. vom 09.06.1986, einen Aufhebungsbescheid vom 01.07.1986, einen Leistungsnachweis vom 05.08.1987 sowie einen Abhilfebescheid vom 09.09.1987 vor, aus denen sich die Gewährung von Arbeitslosengeld im Zeitraum vom 04.04.1986 bis 30.06.1986 ergibt. Mit Schreiben vom 25.03.2013 gab die Beklagte daraufhin ein Anerkenntnis ab und anerkannte auf Grundlage eines Leistungsfalles vom 12.05.2009 ab dem 01.06.2009 einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung auf unbestimmte Zeit. Dieses Anerkenntnis wurde zur Erledigung des Rechtsstreits angenommen. Mit Rentenbescheid vom 12.06.2013 bewilligte die Beklagte aufgrund des Anerkenntnisses vom 25.03.2013 Rente wegen voller Erwerbsminderung, beginnend am 01.06.2009. Für die Zeit bis zum 30.09.2013 betrage die Nachzahlung 20.419,29 € (Auszahlung im Juli 2013). Auf Seite 6 des Bescheides führte die Beklagte aus, nach § 44 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) bestehe kein Anspruch auf Verzinsung, weil seit Eingang des vollständigen Leistungsantrages beim zuständigen Leistungsträger keine sechs Kalendermonate vergangen seien.
Gegen diesen Rentenbescheid legte der Kläger mit Schreiben vom 02.07.2013 Widerspruch ein mit der Begründung, aufgrund des Antragsschreibens vom 27.01.2011 sei der Beklagten bewusst geworden bzw....