Entscheidungsstichwort (Thema)

Soldatenversorgung. Wehrdienstbeschädigung. Gefährdung durch Strahlung in früheren Radareinrichtungen der Bundeswehr und der Nationalen Volksarmee. Bediener an einem Feuerleitsystem. Hodenkrebserkrankung. qualifizierende Erkrankung. Bericht der Expertenkommission. antizipiertes Sachverständigengutachten

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Bericht der Expertenkommission zur Frage der Gefährdung durch Strahlung in früheren Radareinrichtungen der Bundeswehr und der Nationalen Volksarmee vom 02.07.2003 nimmt als Erkenntnismittel zwar eine herausragende Stellung ein. Ihm kommt jedoch nicht die Bedeutung eines antizipierten Sachverständigengutachtens zu.

2. Soweit der Bericht vorschlägt, Hodenkrebs als “qualifizierende Erkrankung„ anzuerkennen, beruht dies nicht auf wissenschaftlichen Erkenntnissen. Gegenwärtig fehlen gesicherte Erkenntnisse, dass Hodentumore durch ionisierende Strahlung verursacht werden können.

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 17. Februar 2006 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Anerkennung einer Hodenkrebserkrankung als Wehrdienstbeschädigung (WDB).

Der 1942 geborene Kläger leistete vom 1. April 1962 bis 30. September 1963 seinen Wehrdienst ab. Ab dem 1. Juli 1962 war er als Bediener am Feuerleitsystem, Flugabwehr D., einem mobilen Radargerät, eingesetzt. Bei der Bundeswehr wurden bis in das Jahr 1962 das Modell D. IV, nachfolgend das Modell D. VII und ab 1967 das Modell D. VII B genutzt.

Am 23. Juli 1974 wurde beim Kläger wegen eines Seminoms des linken Hodens eine erweiterte Orchiektomie links mit Einlegen einer Hoden-Silastic-Prothese im Kreiskrankenhaus L. durchgeführt.

Am 12. September 2001 beantragte der Kläger beim Versorgungsamt H. (VA) die Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG). Er sei 15 Monate lang fast täglich mehrere Stunden als Bediener-Operator am mobilen Feuerleitgerät (FLG) beschäftigt gewesen. Die Arbeit sei unmittelbar am Radargerät erfolgt. Besondere Sicherheitsmaßnahmen seien nicht getroffen worden. Es seien keine Vorkehrungen wie Abdeckungen usw. vorhanden gewesen. Dass er neben seiner im Januar 1974 geborenen Tochter keine weiteren Kinder haben konnte, schmerze noch immer besonders.

Das VA leitete den Sachverhalt zur weiteren Bearbeitung an die Wehrbereichsverwaltung weiter. Diese zog den Kläger betreffende Personal- und truppenärztliche Unterlagen bei.

Die Wehrbereichsverwaltung veranlasste eine Grunduntersuchung durch Stabsarzt Sch. am 12. November 2001. Dabei gab der Kläger ergänzend an, er habe 1984 eine Hirnblutung unklarer Genese erlitten und im Jahr 1998 Gallensteine gehabt. Er sei sechs Stunden täglich am FLG mit einem Abstand von ca. 0,5 m tätig gewesen.

Mit Bescheid vom 9. Januar 2002 lehnte das VA den Antrag des Klägers ab. Gesundheitlich relevante Expositionen gegenüber Hochfrequenzstrahlung (HF-Strahlung) seien grundsätzlich nur im Rahmen eines Unfallgeschehens zu erwarten. Ionisierende Strahlung könne nur bei ungenügender Abschirmung aus dem Gerät austreten und habe nur eine kurze Reichweite von wenigen Zentimetern bis zu wenigen Dezimetern. Unabhängig davon habe der Kläger nicht als Mechaniker an Radargeräten gearbeitet, sondern sei als Feuerleit-Operator eingesetzt worden. Da er keiner Strahlenexposition ausgesetzt gewesen sei, könne kein ursächlicher Zusammenhang zwischen Einwirkungen des Wehrdienstes und der Erkrankung an Hodenkrebs bestehen. Hiergegen richtete sich der Widerspruch des Klägers vom 4. Februar 2002.

Die Wehrbereichsverwaltung zog den Bericht der Arbeitsgruppe Aufklärung der Arbeitsplatzverhältnisse Radar: “Feuerleitsystem, Flugabwehr D. IV, D. VII, D. VII B -Teilbericht„ vom 16. Dezember 2002 (nachfolgend: D.-TB) bei. Baudirektor Sch. führte für die Wehrbereichsverwaltung Süd in seiner Stellungnahme vom 3. März 2003 aus, der Kläger sei bei seiner Tätigkeit als Bediener am Radargerät D. VII B nicht mit Röntgenstrahlung oder radioaktiver Strahlung in Berührung gekommen. Darauf gestützt wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 27. März 2003 zurück.

Deswegen erhob der Kläger am 9. April 2003 beim Sozialgericht Heilbronn (SG) Klage. Er wiederholte sein Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren und ergänzte, es könne nicht zwischen einem Bediener und einem Mitarbeiter des Instandsetzungsdienstes unterschieden werden. Sehr oft hätten sie parallel und gleichzeitig am FLG gearbeitet und seien folglich der gleichen Strahlung ausgesetzt gewesen. Dabei seien Innereien des Gerätes offen und teilweise ausgebaut gewesen. Er sei auch HF-Strahlung ausgesetzt gewesen.

Die Wehrbereichsverwaltung zog medizinische Unterlagen des Kreiskrankenhauses L. über die Behandlung des Hodenkrebses bei.

Der Beklagte verwies zur Erwiderung auf eine Aktenverfügung des Bundesministeriums der Verteidigung (BMVg) - Schwerpunktgruppe Radar ...

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