Entscheidungsstichwort (Thema)

Ablehnung eines berufskundlichen Gutachtens. Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen. schwere spezifische Leistungseinschränkung. verschlossener Arbeitsmarkt. Beweisausforschungsantrag

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Antrag, ein berufskundliches Gutachten zur Frage der Verschlossenheit des Arbeitsmarktes einzuholen, kann abgelehnt werden, wenn keine schwere spezifische Leistungseinschränkung und keine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vorliegen.

2. Soll erst die beantragte Beweisaufnahme selbst die Leistungseinschränkungen erbringen, ist ein solcher Antrag als Beweisausforschungs- bzw -ermittlungsantrag unzulässig (Anschluss an BSG vom 19.10.2011 - B 13 R 33/11 R = NZS 2012, 230).

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 22.09.2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Streitig ist ein Anspruch des Klägers auf Erwerbsminderungsrente.

Der 1965 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er lebt seit 1989 in Deutschland und war hier zuletzt bis Oktober 2003 als Bauhilfsarbeiter versicherungspflichtig beschäftigt; seitdem ist er arbeitsunfähig krank bzw arbeitslos. Er bezieht Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende seit dem Jahr 2007. In der Zeit vom 07.04.2004 bis zum 06.04.2009 wurden mehr als drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder aufgrund des Bezugs von Lohnersatzleistungen im Sinne des § 3 Satz 1 Nr 3 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) entrichtet; insgesamt sind Beitragszeiten von fünf Jahren vorhanden. Auch zur türkischen Sozialversicherung wurden Beiträge entrichtet. Der Kläger ist als Schwerbehinderter anerkannt, der Grad der Behinderung (GdB) beträgt 100 seit 05.05.2008.

Im Jahr 1994 wurde beim Kläger ein Diabetes mellitus Typ II diagnostiziert. Er befand sich vom 24.01. bis zum 14.02.2006 in einem stationären Heilverfahren in der Reha-Klinik in Bad M.. Die Entlassung aus diesem Heilverfahren erfolgte zunächst noch arbeitsunfähig bis zur endgültigen psychischen Restitution. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wurde der Kläger für mittelschwere Tätigkeiten als ganztägig vollschichtig vermittelbar betrachtet. Vermieden werden sollten Tätigkeiten, die eine besondere psychische Flexibilität voraussetzen. Am 06.04.2006 stellte der Kläger einen ersten Antrag auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente. Die Beklagte veranlasste eine Begutachtung des Klägers auf internistischem und nervenärztlichem Fachgebiet und lehnte den Rentenantrag mit Bescheid vom 09.05.2006 und Widerspruchsbescheid vom 11.10.2006 ab. Dagegen erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht Heilbronn (SG). In diesem Verfahren (S 4 R 4133/06) erstattete der Internist Dr. S. ein Gutachten, welches auf einer Untersuchung des Klägers am 03.04.2007 beruht. Er diagnostizierte im Wesentlichen einen insulinpflichtigen Diabetes mellitus Typ II, gut eingestellt, mit diabetischer Polyneuropathie und ein hyperreagibles Bronchialsystem. Im Rahmen der Leistungsbeurteilung führte er aus, auf internistischem Fachgebiet hätten keine Befunde erhoben werden können, die der Verrichtung leichter und auch mittelschwerer körperlicher Arbeit entgegenstünden. Im Mai 2007 wurde beim Kläger ein Makroadenom der Hypophyse festgestellt, welches am 21.05.2007 im Universitätsklinikum W. operiert wurde. Nach dem Arztbrief der Klinik vom 25.05.2007 (Blatt 119 der Akte des SG S 4 R 4133/06) gestaltete sich der postoperative Verlauf komplikationslos. Nachdem das SG darauf hingewiesen hatte, dass weitere Ermittlungen von Amts wegen nicht mehr beabsichtigt sind, nahm der anwaltlich vertretene Kläger am 07.04.2008 die Klage zurück.

Den streitgegenständlichen Antrag stellte der Kläger am 07.04.2009. Die Beklagte veranlasste eine Untersuchung und Begutachtung des Klägers auf internistischem Fachgebiet. Dr. S. berichtete in seinem Gutachten vom Mai 2009 wiederum über den Diabetes mellitus und wies auf eine erfolgreich operierte gutartige neubildende Hypophyse hin. Er hielt den Kläger noch für fähig, leichte körperliche Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden und mehr zu verrichten. Mit Bescheid vom 26.06.2009 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab mit der Begründung, dem Antrag könne nicht entsprochen werden, weil in den letzten fünf Jahren drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit nicht vorhanden seien. Nach den getroffenen Feststellungen bestehe auch weder eine teilweise noch eine volle Erwerbsminderung.

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 03.07.2009 Widerspruch ein. Er wies darauf hin, die von der Beklagten gegebene Begründung könne nicht stimmen. In den letzten Jahren seien für ihn Beiträge zur Rentenversicherung abgeführt worden. Nachdem der Träger der Grundsicherung für Arbeitssuchende in T. das Vorbringen des Klägers bestätigt hatte, holte die Beklagte noch ein Gutachten auf nervenärztlichem Fachgebiet ein. Auch in ...

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