Entscheidungsstichwort (Thema)

Soziale Pflegeversicherung. häusliche Pflege. Pflegegrad 1. kein Anspruch auf laufende Geldleistung für selbst beschäftigte Haushaltshilfen. Zweckbindung des Entlastungsbetrags nach § 45b SGB 11. Möglichkeit der Inanspruchnahme nach Landesrecht anerkannter Angebote zur Unterstützung im Alltag iSd § 45a SGB 11

 

Orientierungssatz

1. §§ 28a Abs 2, 45b SGB 11 bieten keine Rechtsgrundlage für eine dem Pflegegeld vergleichbare laufende Geldleistung ohne Zweckbindung iSd § 45b SGB 11. Eine Erstattung der Kosten nach diesen Vorschriften für in geringfügigem Umfange von einer Pflegebedürftigen mit anerkanntem Pflegegrad 1 selbst beschäftigte Putz-, Pflege- oder Haushaltshilfen scheidet ebenfalls aus.

2. Die Zweckbindung des Entlastungsbetrages nach § 45b Abs 1 S 3 Nr 4 SGB 11 erfasst auch Leistungen der nach Landesrecht anerkannten Angebote zur Unterstützung im Alltag iSd § 45a SGB 11. Diese wiederum beinhalten nach § 45a Abs 1 S 2 Nr 3 SGB 11 Angebote, die dazu dienen, die Pflegebedürftigen bei der Bewältigung von allgemeinen oder pflegebedingten Anforderungen des Alltags oder im Haushalt, insbesondere bei der Haushaltsführung, oder bei der eigenverantwortlichen Organisation individuell benötigter Hilfeleistungen zu unterstützen (Angebote zur Entlastung im Alltag). Als entlastende Alltagshilfen kommen auch haushaltsnahe Dienstleistungen in Betracht, beispielsweise Serviceleistungen im Bereich des Haushalts oder der unmittelbaren häuslichen Umgebung, die Übernahme von Fahr- und Begleitdiensten, Einkaufs- und Botengänge. Kosten für Haushaltshilfe können daher - bei Inanspruchnahme entsprechend anerkannter Angebote - im Rahmen des Entlastungsbetrages erstattet werden, auch wenn die Leistung nicht von einem Pflegedienst erbracht wird.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 13.01.2021; Aktenzeichen B 3 P 7/20 B)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 1. Februar 2019 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Gewährung einer laufenden Geldleistung in Höhe von 125,00 € monatlich ab Juni 2017 für selbst (geringfügig) beschäftigte Haushaltshilfen.

Bei der 1963 geborenen, bei der Beklagten sozial pflegeversicherten Klägerin besteht nach mehrfachen Operationen zur Wundreinigung und Spalthauttransplantation wegen beginnender Sepsis nach einer unfallbedingten Mammareduktionsplastik im Juli 2009 eine Bewegungseinschränkung beider Schultern, vorwiegend rechts. Ein Grad der Behinderung von 90 ist festgestellt.

Am 7. Juni 2017 beantragte sie - rechtsanwaltlich vertreten - bei der Beklagten die Gewährung von Pflegegeld. Dabei gab sie als den Haushalt übernehmende Pflegepersonen ihren Ehemann, ihre Kinder und Freunde an. Die im Formular vorgegebene Kategorie der Übernahme der „notwendigen pflegerischen Versorgung“ strich sie durch. Ergänzend führte sie aus, die Pflege könne sie derzeit alleine verrichten, nicht jedoch ihren Haushalt führen. Tätigkeiten wie Kochen, Putzen und Wäschewaschen seien ihr nicht mehr möglich. Diese würden derzeit durch die Familie und einer auf „Minijob-Basis“ beschäftigten Putzhilfe übernommen.

Im Auftrag der Beklagten erstellte Pflegefachkraft B., Medizinischer Dienst der Krankenversicherung (MDK), am 6. Oktober 2017 aufgrund einer Untersuchung am Vortag ein Gutachten. Sie beschrieb einen personellen Hilfebedarf im Modul 4 (Selbstversorgung) von 16 Einzelpunkten und damit 20,00 gewichteten Punkten, während in den übrigen fünf Modulen kein Hilfebedarf bestehe. Im Bereich der Haushaltsführung könnten die Nutzung von Dienstleistungen, der Umgang mit finanziellen und Behördenangelegenheiten überwiegend selbständig, die Zubereitung einfacher Mahlzeiten sowie einfache Aufräum- und Reinigungsarbeiten überwiegend unselbständig und das Einkaufen für den täglichen Bedarf und aufwändigere Aufräum- und Reinigungsarbeiten einschließlich Wäschepflege nur unselbständig durchgeführt werden. Bei insgesamt 20,00 gewichteten Punkten liege Pflegegrad 1 vor.

Hierauf gestützt führte die Beklagte in dem mit Rechtsbehelfsbelehrung versehenen an die Klägerin adressierten Bescheid vom 9. Oktober 2017 aus, der MDK habe einen Pflegegrad 1 ab 7. Juni 2017 festgestellt. „Pflegebedürftige des Pflegegrad 1 erhalten auf Antrag folgende Leistungen: Pflegeberatung … (weitere im Einzelnen genannte Leistungen)“. In einem gesonderten, an die Klägerin gerichteten Schreiben vom selben Tag ohne Rechtsbehelfsbelehrung führte sie aus:

„durch den (MDK) wurde bei Ihnen eine Pflegebedürftigkeit des Pflegegrades 1 festgestellt. Sie haben daher ab dem 07.06.2017 einen Anspruch auf den Entlastungsbetrag in Höhe von 125,00 Euro monatlich.

Bitte beachten Sie:

Den oben genannten Betrag dürfen Sie nur zweckgebunden für qualitätsgesicherte Betreuungsleistungen einsetzen. Er dient dazu Aufwendungen zu erstatten, die Sie im Zusammenhang mit folgenden Leistungen haben:

1. Tages- oder Nachtpflege

2. Leistungen der...

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