Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Erstattung zu Unrecht gewährter Sozialleistung. keine Gesamtschuldnerschaft der Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft. keine Teilaufhebung der Bewilligung mangels Bestimmtheit. zu den Voraussetzungen einer Erstattungspflicht nach § 92a Abs 4 S 1 BSHG

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das Erstattungsverhältnis nach § 50 SGB 10 stellt das Spiegelbild eines sozialrechtlichen Leistungsverhältnisses dar. Die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsaktes nach § 45 SGB 10 bzw seine Aufhebung gem § 48 SGB 10 kann nur gegenüber dem Begünstigten erfolgen.

2. Da der sozialhilferechtliche Anspruch auf Leistungen zum Lebensunterhalt auch im Falle einer so genannten Bedarfsgemeinschaft ein Individualanspruch bleibt, haftet ein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft nicht für die einem anderen gewährten Leistungen.

3. Stellt ein Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid nicht eindeutig fest, wem gegenüber welche Bewilligung in welcher Höhe aufgehoben und wie viel von ihm zurückgefordert wird, sondern berühmt er sich sogar einer gesamtschuldnerischen Haftung mehrerer Empfänger, kann er mangels Bestimmtheit auch nicht teilweise aufrechterhalten werden.

 

Orientierungssatz

1. Eine Haftungsgemeinschaft ist nicht aus § 11 Abs 2 S 2 BSHG herzuleiten; auch eine entsprechende Anwendung auf die Rückerstattung zu Unrecht erbrachter Sozialleistungen kommt nicht in Betracht (vgl BVerwG vom 22.10.1992 - 5 C 65/88 = NJW 1993, 2884 und OVG Lüneburg vom 24.4.2003 - 12 LA 85/03 = FEVS 55, 10).

2. Zum Nichtvorliegen der Voraussetzungen einer Erstattungspflicht wegen schuldhaften Verhaltens gem § 92a Abs 4 S 1 BSHG für zu Unrecht erbrachte Sozialleistungen gem § 50 SGB 10.

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 21. Februar 2006 aufgehoben. Der Bescheid des Beklagten vom 3. November 2004 in der Gestalt des Teilabhilfe- und Widerspruchsbescheids vom 3. Mai 2005 wird aufgehoben.

Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen die Aufhebung der Bewilligung von Sozialhilfe und die Rückforderung gezahlter Leistungen in Höhe von 2.089,06 €.

Die 1945 geborene Klägerin und ihr damaliger Ehemann H. M. (H. M.) bezogen seit dem 1. August 1998 laufend Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG). Die Klägerin und H. M. hielten sich vom 22. Februar bis 21. oder 31. März 1999, vom 18. Februar bis 3. oder 8. April 2001, vom 29. November 2002 bis 23. Februar 2003 und vom 3. Dezember 2003 bis 25. Februar 2004 zu Urlaubsreisen in K. auf. Dem Beklagten teilten sie dies nicht mit. Die Ehe der Klägerin mit H. M. wurde am 24. September 2004 geschieden.

Nach einem anonymen Hinweis verlangte der Beklagte mit Schreiben vom 21. Januar 2004 die Vorlage der Reisepässe der Klägerin und des H. M. Mit Bescheid vom 3. November 2004, gerichtet an die Klägerin, hob die Beklagte die Bewilligungsbescheide vom 28. Januar 1999, 14. August 2000, 4. September 2002 und 25. November 2003 gemäß § 45 Abs. 2 Nrn. 2 und 3 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) mit Wirkung vom 1. Februar 1999, 1. September 2000, 1. September 2002 und 1. Dezember 2003 auf und forderte von der Klägerin die zu viel gewährten Sozialleistungen in Höhe von 2.711,63 € gemäß § 50 Abs. 1 SGB X zurück. Gemäß Nr. 5.09 der Sozialhilferichtlinien werde bei bis zu dreiwöchigen Urlaubsaufenthalten die Hilfe zum Lebensunterhalt ungekürzt weitergewährt. Bei länger dauernden Urlaubsaufenthalten würden danach lediglich die Kosten der Unterkunft weiterhin übernommen. Für die Rückzahlung des Betrags sei die Klägerin mit ihrem Mann gesamtschuldnerisch verantwortlich. Ein entsprechender Bescheid erging unter demselben Datum an H. M.

Dem Widerspruch der Klägerin half der Beklagte mit Teilabhilfebescheid vom 3. Mai 2005 insoweit ab, als die Rückforderungssumme auf 2.089,06 € reduziert wurde. Im Übrigen wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Entsprechend verfuhr der Beklagte mit dem Widerspruch des H. M. gegen den an ihn gerichteten Bescheid.

Die Klägerin hat am 13. Mai 2005 zum Sozialgericht Freiburg (SG) Klage erhoben. Sie bezweifelt, ob allein aufgrund der Sozialhilferichtlinien der Sozialhilfeanspruch für die Urlaubszeiten entzogen werden könne. Darüber hinaus genieße sie Vertrauensschutz nach § 45 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB X, da der Beklagte sie nicht darüber belehrt habe, dass die Urlaubsreise mitteilungspflichtig sei. Eine entsprechende Meldepflicht müsse ohnedies bezweifelt werden, da diese Tatsache nicht unmittelbar die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Klägerin betreffe. Jedenfalls habe sie nicht grob fahrlässig gehandelt. Soweit der Beklagte die Rechtswidrigkeit der Hilfebewilligung auf seine fehlende örtliche Zuständigkeit stütze, sei dies nach §§ 40 Abs. 3 Nr. 1, 42 SGB X unbeachtlich. Im Übrigen sei die Klägerin schwer herzkrank und das Klima in K. lindere ihre Beschwerden. Die dortigen Aufenthalte hätten in...

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