Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeldanspruch. Arbeitslosigkeit. Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit. Teilnahme an einer Vorbereitungsschulung zum Handelsvertreter

 

Orientierungssatz

1. Zur selbständigen Tätigkeit gehören nicht nur die Verrichtungen, mit denen unmittelbar Umsatz erzielt wird, sondern sämtliche Verrichtungen, die nach dem Gesamtbild bei der selbständigen Tätigkeit anfallen (vgl BSG vom 28.10.1987 - 7 RAr 28/86 = SozR 4100 § 102 Nr 7).

2. Die Teilnahme an einer Vorbereitungsschulung nach Abschluß und Inkrafttreten des Vertrages über die Aufnahme der Tätigkeit als selbständiger Gewerbetreibender ist daher bereits der selbständigen Tätigkeit zuzurechnen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) ab 01.02.1995 aufheben und die ab diesem Zeitpunkt gezahlten Leistungen zurückfordern durfte.

Der 1951 geborene Kläger war von 1991 bis 1994 bei verschiedenen Versicherungsunternehmen als Bezirksdirektor, Niederlassungsleiter und Betriebsdirektor beschäftigt, zuletzt vom 01.09.1993 bis 31.10.1994 bei der D. (Bruttoarbeitsentgelt 11.033,20 DM, keine feste wöchentliche Arbeitszeit, maximal 48 Stunden/Woche). Das Arbeitsverhältnis endete durch Aufhebungsvertrag vom 18.10.1994, mit dem der Kläger eine Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes in Höhe von 30.000,-- DM erhielt.

Mit Wirkung zum 01.11.1994 meldete sich der Kläger beim Arbeitsamt (AA) R arbeitslos und beantragte die Gewährung von Alg. Dieses bewilligte Alg nach Ablauf einer Sperrzeit (Bescheid vom 22.12.1994) und eines Ruhenszeitraums wegen der Abfindung (Bescheid vom 22.12.1994) mit Bescheid vom 16.01.1995 ab 24.01.1995 in Höhe von 742,80 DM wöchentlich (Bemessungsfaktoren: Bemessungsentgelt 1.820,-- DM, Lohnersatzquote 67 v.H., Leistungsgruppe C/1). Diese Leistung bezog er bis zur Anspruchserschöpfung am 02.05.1995. Einen Antrag auf Arbeitslosenhilfe stellte er nicht.

Im Februar 1996 erfuhr das AA, dass der Kläger ab 01.02.1995 einen Mitarbeitervertrag als selbstständiger Gewerbetreibender im Sinne der §§ 84 ff. HGB auf unbestimmte Zeit geschlossen und für die Monate Februar, März und April 1995 jeweils 12.000,-- DM erhalten hatte. Frau B von der Z & S-H GmbH, H (ZSH), teilte dem AA hierzu mit, der Kläger sei ab 01.02.1995 als freier Handelsvertreter tätig. Hinsichtlich des Umfangs der wöchentlichen Arbeitszeit lasse sich keine Angabe machen. Im Vertrag heiße es, er sei hauptberuflich tätig. Die Zahlungen von je 12.000,-- DM seien Vorschusszahlungen. Die Provisionsansprüche wegen abgeschlossener Versicherungen würden mit den Vorschusszahlungen verrechnet. Derzeitig bestehe noch ein Saldobetrag. Die ZSH übersandte den Mitarbeitervertrag vom 31.01.1995.

Nach Anhörung hob das AA mit Bescheid vom 03.05.1996 die Bewilligung von Alg ab 01.02.1995 ganz auf, weil der Kläger nicht mehr arbeitslos sei. Es forderte Leistungen in Höhe von 9.532,60 DM zurück. Mit weiterem Bescheid vom 03.05.1996 forderte es die Erstattung von Krankenversicherungsbeiträgen in Höhe von 1.891,89 DM.

Der Kläger erhob Widerspruch: Es sei richtig, dass er am 31.01.1995 mit der ZSH einen Vertrag abgeschlossen habe, in dem als Vertragsbeginn der 01.02.1995 festgelegt sei. Tatsächlich sei der Vertrag aber erst zum 01.05.1995 in Kraft gesetzt worden. In den Monaten Februar, März und April habe er jedoch zunächst eine Schulung (Startprogramm) durchlaufen, um sich die erforderlichen Branchenkenntnisse anzueignen. Von Februar bis einschließlich April habe er kein Gehalt oder Provision bezogen. Bei den Vorschusszahlungen habe es sich um Darlehen gehandelt. Das AA habe keine einzige Arbeitsstelle nachweisen können. Im Falle eines Angebotes hätte er jederzeit bei der ZSH aufhören und die vorgeschlagene Stelle annehmen können.

Mit Widerspruchsbescheid vom 19.06.1996 wies das AA den Widerspruch zurück: Der Kläger sei nicht mehr arbeitslos gewesen. Nach § 1 des Mitarbeitervertrages sei vereinbart, dass er hauptberuflich tätig sei. Er habe ab 01.02.1995 Zahlungen in Höhe von 12.000,-- DM monatlich erhalten. Diese hätte er ohne Teilnahme am Schulungsprogramm nicht erhalten.

Am 25.06.1996 hat der Kläger Klage beim Sozialgericht (SG) Reutlingen erhoben, zu deren Begründung er zunächst auf seinen bisherigen Vortrag Bezug genommen hat. Ergänzend hat er vorgetragen, während der Zeit der Schulung sei er weiterhin arbeitslos gewesen. Für das Leistungsrecht gelte ein besonderer Begriff des Beschäftigungsverhältnisses. Für dieses sei es ohne Bedeutung, ob das Arbeitsverhältnis rechtlich bestehe. Maßgeblich sei die faktische Beschäftigungslosigkeit. Im streitigen Zeitraum habe er mit der Ausführung seiner vertraglichen Hauptleistungspflicht noch nicht begonnen. Ein Entgelt habe er ebenfalls nicht erhalten, die Zahlungen seien darlehensweise erfolgt. Auch das AFG gehe davon aus, dass Arbeitnehmer, die in einem Arbeitsverhältnis stünden, Leistungen erhalten könnten (§ 117 Abs. 4 AFG). Der vorliegende Fall sei nicht anders zu beu...

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