Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. keine Kostenübernahme einer Präimplantationsdiagnostik. In-Vitro-Fertilisation. Früherkennungsuntersuchung. Krankheit. Maßnahme zur Herbeiführung einer Schwangerschaft. Krankenbehandlung. Systemmangel. Strafbarkeit

 

Leitsatz (amtlich)

Die Präimplantationsdiagnostik unterfällt weder den Anspruchsregelungen der §§ 25, 26 SGB 5 als Maßnahme der Früherkennung, noch stellt sie eine Maßnahme der Krankenbehandlung nach § 27 SGB 5 dar, noch ist sie nach § 27a SGB 5 zu gewähren, noch liegt insoweit ein Systemmangel vor.

 

Normenkette

SGB V §§ 25-26, 27 Abs. 1, § 27a Abs. 1, 3 S. 1; ESchG § 3a Abs. 3

 

Tenor

Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 9. November 2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Beklagte den Klägern die Durchführung einer Präimplantationsdiagnostik (PID) und die Durchführung einer retroproduktionsmedizinischen Behandlung mittels In-Vitro-Fertilisierung (IVF nach ICSI) als Sachleistung zu gewähren hat.

Der am 1972 geborene Kläger zu 1) und die am 1975 geborene Klägerin zu 2) sind verheiratet und bei der Beklagten versichert. Sie sind beide Träger einer Mutation im GLDC-Gen, die zu einer autosomal rezessiv vererbten ketotischen Hyperglycinämie führen kann. Die Kläger sind Eltern zweier Kinder, wobei eines der Kinder an der autosomal rezessiv vererbten ketotischen Hyperglycinämie leidet. Neben diesen beiden Kindern hatte die Klägerin zu 2) bereits eine Fehlgeburt, zwei Schwangerschaften wurden nach pränataler Diagnostik abgebrochen, da der Fötus jeweils von der Erbkrankheit betroffen war.

Unter Vorlage der den Verwaltungsakten der Beklagten nicht beigefügten Unterlagen der PD Dr. P. und der Dr. K., Praxis für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin, Kinderwunsch im Zentrum, M., vom 21. Dezember 2011 wandten sich die Kläger an die Beklagte und begehrten die Kostenübernahme für eine PID und IVF/ICSI-Behandlung. Die Beklagte erhob das Gutachten des Dr. W. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) vom 29. Dezember 2011, der in seinem Gutachten angab, dass ein Kostenvoranschlag in Höhe von € 2.998,16 für die PID, über € 1.992,68 für jeden weiteren Zyklus und in Höhe von € 1.028,33 für den Behandlungsanteil der Klägerin zu 2) für die IVF/ICSI-Behandlung vorliege und zusätzlich Kosten für Hormonbestimmungen, Medikamente und Anästhesie in Höhe von ca. € 3.000,00 anfielen, und zu dem Ergebnis kam, dass die medizinischen Voraussetzungen für die Leistung nicht erfüllt seien. Eine IVF nach ICSI sei nur dann zu Lasten der Krankenkasse möglich, wenn ein unerfüllter Kinderwunsch vorliege und eine männliche Infertilität bestehe. Dies sei hier nicht der Fall. Eine Schwangerschaft könne auch auf natürliche Weise zu Stande kommen. Im Falle einer Schwangerschaft könne die als medizinisch zweckmäßige und notwendig anzusehend pränatale Diagnostik entweder als Chorionzottenbiopsie oder im Rahmen einer Amniozentese durchgeführt werden. Sowohl diese Untersuchung als auch die nachfolgenden humangenetischen Untersuchungen an gewonnenem Biopsiematerial seien Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung. Durch diese Diagnostik sei es möglich, vor Austragung der Schwangerschaft eine präzise Information über das Vorliegen oder das Nichtvorliegen der Erbkrankheit beim Fötus zu erhalten. Auf Basis der humangenetischen pränatalen Diagnostik wäre ggf. auch eine Schwangerschaftsunterbrechung aus medizinischen Gründen zu rechtfertigen und Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung. Eine lebensbedrohliche Erkrankung der Klägerin zu 2) selbst liege nicht vor und werde bei Nichtanwendung der Methode auch nicht eintreten.

Mit Bescheid vom 16. Januar 2012 lehnte die Beklagte mit an den Kläger zu 1) gerichtetem Bescheid die Kostenübernahme ab.

Dagegen legte der Kläger zu 1) Widerspruch ein. Er machte geltend, dass ihnen als Eltern nicht zugemutet werden könne, nochmals ein lebensfähiges, von der Krankheit betroffenes Kind abzutreiben. Abgesehen davon, dass auch dies erhebliche Kosten verursache, sei eine Abtreibung für sie körperlich und psychisch nicht mehr zu ertragen. Wenn sie noch einmal eine Schwangerschaft auf dem normalen Weg versuchen sollten, würden sie eine Abtreibung nicht in Erwägung ziehen. Die Kosten, die ein krankes Kind verursachen würde, seien viel höher als die Kosten, die die PID verursachen würde. Im Übrigen sei die PID durch den Gesetzgeber nicht mehr verboten und bei Familien wie ihnen sei es durchaus sinnvoll, diese auch anzuwenden. Die Beklagte holte hierzu eine erneute Stellungnahme des MDK ein. Dr. S. wies unter dem 2. Mai 2012 unter Bezugnahme auf das Vorgutachten ebenfalls darauf hin, dass im Rahmen einer weiteren Schwangerschaft ab der zehnten Schwangerschaftswoche eine Chorionzottenbiopsie und ab der 15. Schwangerschaftswoche eine Fruchtwasseruntersuchung möglich sei, die ...

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