Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Kostenerstattung. Notwendigkeit der vorherigen Einschaltung der Krankenkasse. kein Anspruch auf Erstattung der Kosten für Präimplantationsdiagnostik. kein Systemmangel. keine Kostenerstattung für In-Vitro-Fertilisation bei fehlender Fertilitätsstörung und Vorliegen einer vererbbaren Erkrankung. Verfassungsmäßigkeit. keine grundrechtsorientierte Auslegung nach dem Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005. Kostenerstattung bei Inanspruchnahme von Leistungserbringern in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union (hier in Belgien) nur bei inländischem Sach- oder Dienstleistungsanspruch
Leitsatz (amtlich)
Die Präimplantationsdiagnostik unterfällt weder den Anspruchsregelungen der §§ 25, 26 SGB 5 als Maßnahme der Früherkennung, noch stellt sie eine Maßnahme der Krankenbehandlung nach § 27 SGB 5 dar noch ist sie nach § 27a SGB 5 zu gewähren noch liegt insoweit ein Systemmangel vor (vgl LSG Stuttgart vom 19.4.2013 - L 4 KR 5058/12).
Orientierungssatz
1. Ein auf die Verweigerung der Sachleistung gestützter Erstattungsanspruch scheidet nach ständiger Rechtsprechung aus, wenn sich der Versicherte die Leistung besorgt hat, ohne die Krankenkasse einzuschalten und deren Entscheidung abzuwarten. Dieses Verfahren ist auch zu fordern in Fällen, in denen von vornherein feststand, dass eine durch Gesetz oder Verordnung von der Versorgung ausgeschlossene Sachleistung verweigert werden würde und sich der Versicherte dadurch gezwungen gesehen hat, die Leistung selbst zu beschaffen (vgl BSG vom 14.12.2006 - B 1 KR 8/06 R = BSGE 98, 26 = SozR 4-2500 § 13 Nr 12).
2. Es besteht kein Anspruch auf Erstattung der Kosten für die Durchführung reproduktionsmedizinischer Behandlungen mittels In-Vitro-Fertilisation (IVF), wenn die künstliche Befruchtung nicht wegen einer Fertilitätsstörung des Versicherten, sondern aufgrund seiner vererbbaren Erkrankung ausschließlich deshalb erfolgen soll, weil allein die im Zusammenhang mit der Befruchtung durchzuführende PID die Möglichkeit eröffnet, für die Implantation erbgesunde Zellen aufzufinden und damit die Chance zur Geburt eines gesunden Kindes zu erhöhen.
3. Eine Ungleichbehandlung des Versicherten, die zu einer Leistungspflicht wegen Verletzung des Art 3 GG führen könnte, ist nicht erkennbar.
4. Die Voraussetzungen einer grundrechtsorientierten Auslegung auf der Grundlage des Beschlusses des BVerfG vom 6.12.2005 - 1 BvR 347/98 = BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 sind hier nicht gegeben.
5. Der Anspruch nach § 13 Abs 4 S 1 SGB 5 ist von einem konkreten primären Sach- oder Dienstleistungsanspruch des Versicherten in der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung abhängig (vgl BSG vom 30.6.2009 - B 1 KR 19/08 R = SozR 4-2500 § 13 Nr 21).
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 19. September 2012 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob die Beklagte dem Kläger die Kosten für die Durchführung einer Präimplantationsdiagnostik (PID) und die Durchführung reproduktionsmedizinischer Behandlungen mittels In-Vitro-Fertilisation (IVF) in Höhe von € 21.578,31 zu erstatten hat und ob sie dem Kläger zunächst zwei weitere Behandlungszyklen als Sachleistung zu gewähren hat.
Der 1976 geborene Kläger und die 1982 geborene M. K. (im Folgenden M.K.) sind verheiratet. Der Kläger, bei dem keine Fertilitätsstörung vorliegt, ist bei der Beklagten versichert. Er leidet an einer cerebralen autosomal dominanten Artheriopathie mit subkortikalen Infarkten und Leukoenzephalopathie (CADASIL), einer dominant-rezessiv vererbbaren neurologischen Erkrankung, die einen degenerativen Verlauf bis zur Demenz nehmen kann und für die es keine kausale Therapie gibt.
Wegen des Kinderwunsches des Klägers und von M.K. fertigte der Urologe Dr. Sc. am 28. Juni 2011 ein Spermiogramm des Klägers an. Am 29. Juni 2011 führten die Gynäkologen Dr. P.-K., T. und Dr. S. Beratungsgespräche mit dem Kläger und M.K. durch, am 30. August 2011 wurde bei M.K. und am 19. September 2011 beim Kläger eine Infektionsdiagnostik durchgeführt. Außerdem wurde M.K. am 8. September 2011 von Dr. P.-K., T. und Dr. S. voruntersucht. Diese Untersuchungen fanden jeweils in Deutschland statt. Insgesamt wurde dem Kläger und M.K. hierfür ein Betrag in Höhe von € 478,96 in Rechnung gestellt.
Am 21. September 2011 beantragten der Kläger und M.K. bei der Beklagten die Übernahme der Kosten für eine künstliche Befruchtung. Sie begehrten einen Zuschuss zur PID, zumindest in der Höhe, die der üblichen Kostenübernahme bei einer künstlichen Befruchtung entspricht. Zur Begründung trugen sie vor, dass diese Behandlung für sie die einzige Möglichkeit sei, ihrem Kind und auch ihnen unnötiges Leid und eine immense psychische Belastung zu ersparen. Da die PID in Deutschland seit dem 7. Juli 2011 zwar zulässig, auf nicht...