Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Verletztenrente. Vergleichsvertrag. Rentenbewilligung für einen zurückliegenden Zeitraum. Vereinbarung über zukünftige Rentengewährung. keine wirksame Verpflichtung zur Anwendung von § 48 SGB 10 durch gerichtlichen Vergleich. Arbeitsunfall. MdE-Feststellung. Gesundheitsschaden. posttraumatische Belastungsstörung. subtotale Amputation des rechten Zeigefingers

 

Leitsatz (amtlich)

Bewilligte die Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung für einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum eine Verletztenrente, kann sie sich für die weitere Gewährung nicht mittels eines gerichtlichen Vergleiches zur Anwendung von § 48 SGB X wirksam verpflichten.

 

Orientierungssatz

Zur Feststellung einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) nach den einschlägigen Diagnosesystemen (hier: Verneinung nach subtotaler Amputation des rechten Zeigefingers).

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten werden das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 11. Mai 2017 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Klägers sind von der Beklagten im gesamten Verfahren nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beklagte wendet sich gegen ihre erstinstanzliche Verurteilung zur Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 8. Mai 2007 über Mai 2012 hinaus.

Der Kläger wurde 1970 geboren und ist türkischer Staatsangehöriger. Bei der N. GmbH arbeitete er als Teilezurichter im Bereich der mechanischen Fertigung. Die Ausbildung hierzu förderte die heutige Bundesagentur für Arbeit, nachdem er zuvor berufliche Tätigkeiten über Unternehmen der Personaldienstleistung ausübte.

Am 8. Mai 2007 gegen 14:45 Uhr war er damit beauftragt, an einer automatischen Kreissäge mit Minimalschmierung abgetrennte Teile, welche mit Hilfe einer Rutsche auf ein separates Förderband gelangten, in einer Gitterbox abzulegen. Die Säge, welche auslief, hatte sich verstellt, weshalb er mit einem Schutzhandschuh hineingriff, um sie neu zu justieren. Dabei wurde der Handschuh erfasst und in die Maschine gezogen. Hierdurch kam es zu einer subtotalen Amputation des rechten Zeigefingers, weshalb der Kläger bis 13. Juni 2007 in der Klinik für Handchirurgie, Mikrochirurgie und Rekonstruktive Brustchirurgie des M. S. stationär behandelt wurde. Es erfolgte eine Replantation, jeweils eine Naht des ulnaren Gefäßnervenbündels, des radialen Nervs, der Beugesehnen und der Strecksehne, eine Mittelgelenksarthrodese, eine Defektdeckung dorsal durch einen Reverse-cross-Fingerlappen sowie eine Vollhauttransplantation vom Unterarm.

Im Auftrag der Beklagten erstattete Priv.-Doz. Dr. G., Ärztlicher Direktor der Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie des K. S., ein so genanntes “Erstes Rentengutachten„. Nach der ambulanten Untersuchung des Klägers am 4. Januar 2008 stellte er als wesentliche Unfallfolgen den Zustand nach einer Replantation des rechten Zeigefingers im Mittelgelenk mit einer Arthrodese im defektverletzten Mittelgelenk unter Verkürzung des Mittelgliedes, eine achsgerecht knöchern konsolidierte Arthrodese mit Drahtschlinge in situ, eine Verminderung der Beweglichkeit im Endgelenk, einen inkompletten Faustschluss und eine unvollständige Fingerstreckung rechts, eine Minderung des Mineralsalzgehaltes des Handskelettes rechts, ein Narbenareal bei dem Zustand nach einer Defektdeckung streckseitig mit Gefühlsstörungen, eine deutliche Verminderung der Sensibilität im Zeigefingermittel- und -endglied rechts, eine Verschmächtigung des Endgliedes, eine kosmetisch störende Narbe bei dem Zustand nach einer Vollhautentnahme am Unterarm, eine Kraftminderung, eine Kälteempfindlichkeit sowie eine Wetterfühligkeit fest. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) bewertete er bis zum Tag der Untersuchung und voraussichtlich bis 27. August 2008 mit 20 vom Hundert (v. H.). Anschließend werde sie voraussichtlich noch 10 v. H. betragen.

Prof. Dr. A., Ärztlicher Direktor der Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie und Orthopädie des Klinikums L., erstattete schließlich auf Veranlassung der Beklagten ein so genanntes “Zweites Rentengutachten„. Nach der ambulanten Untersuchung des Klägers am 4. Dezember 2008 ging er als Unfallfolgen von einem deutlich verkürzten und im Wesentlichen funktionslosen rechten Zeigefinger mit knöchern konsolidierter Arthrodese in einer Beugestellung von 40° des Mittelgelenkes, einem inkompletten Faustschluss mit einer verminderten Kraft und einer reduzierten Feinmotorik, einer reizlosen, etwas hypertrophierten Narbe im Bereich des rechten proximalen Unterarmes sowie glaubhaften subjektiven Beschwerden wie einer Kälteempfindlichkeit, einer Wetterfühligkeit und einer psychischen Komponente aus. Die MdE bewertete er am Tag der Untersuchung und voraussichtlich auf Dauer mit 20 v. H. In seiner ergänzenden Stellungnahme von Januar 2009 führte Prof. Dr. A. aus, ihm sei bekannt, dass bei dem Verlust des kompletten Zeigefingers eine MdE von 10 v. H. verbleibe. Beim Kläger bestünde durch d...

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