Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Aussetzung der sofortigen Vollziehung gemäß § 86a Abs 3 SGG. Aussetzung / Ablehnung kein Verwaltungsakt
Leitsatz (amtlich)
Die Aussetzung der Vollziehung gemäß § 86a Abs 3 SGG bzw die Ablehnung einer Aussetzung ist kein Verwaltungsakt.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 21.01.2021 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 5.000,00 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Ablehnung der Aussetzung der sofortigen Vollziehung aus dem Betriebsprüfungsbescheid vom 11.01.2019 in der Fassung des Teilabhilfebescheids vom 26.04.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.05.2019 mit einer Beitragsnachforderung iHv 17.419,42 €.
Die Klägerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit Sitz in W. Gegenstand des Unternehmens sind der Ankauf, die Modernisierung, der Verkauf und die Vermittlung von Immobilien. Zu Geschäftsführern waren bis 19.03.2018 die beiden Gründungsgesellschafter T (51 % der Geschäftsanteile, ab 01.09.2017 100 % der Geschäftsanteile) und S (49 % der Geschäftsanteile bis zum 31.08.2017) bestellt.
Die Beklagte führte hinsichtlich des Prüfzeitraums vom 01.01.2014 bis 31.12.2017 bei der Klägerin eine Betriebsprüfung nach § 28p Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) durch und setzte gegenüber der Klägerin durch Bescheid vom 11.01.2019 für die Zeit vom 01.07.2014 bis 31.08.2017 eine Beitragsnachforderung iHv 19.132,55 € sowie stellte Versicherungspflicht hinsichtlich der Beschäftigung der S in allen Zweigen der Sozialversicherung fest.
Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein und machte geltend, dass es sich bei der Tätigkeit der S nicht um ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis handele. Die Klägerin beantragte bis zur Entscheidung über den Widerspruch eine „stillschweigende Aussetzung der festgesetzten Beträge“. Mit Schreiben vom 26.02.2019 lehnte die Beklagte den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ab, da keine ernsthaften Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides bestünden. Mit Änderungsbescheid vom 26.04.2019 half die Beklagte dem Widerspruch der Klägerin insoweit ab, als Umlagebeiträge U1 und U2 nicht mehr nachgefordert werden. Sie reduzierte die Nachforderung auf insgesamt 17.419,42 €.
Durch Bescheid vom 22.05.2019 wies die Beklagte den Widerspruch, soweit ihm nicht abgeholfen wurde, als unbegründet zurück. Dagegen erhob die Klägerin am 24.06.2019 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG; Az S 12 BA 2587/19).
Am 12.09.2019 beantragte die Klägerin bei der Beklagten erneut, die festgesetzten Beiträge von der Vollziehung auszusetzen. Dazu teilte die Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 18.09.2019 mit, dass Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Beitragsbescheid nach § 86a Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) keine aufschiebende Wirkung hätten. Der Beitragsbescheid sei also unmittelbar nach seiner Bekanntgabe sofort vollziehbar. Gemäß § 86a Abs 3 Satz 1 SGG könne die Stelle, die den Verwaltungsakt erlassen und die über den Widerspruch zu entscheiden habe, die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen. Die Aussetzung der Vollziehung solle gemäß § 86a Abs 3 Satz 2 SGG erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestünden oder wenn die Vollziehung für den Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge habe. Eine unbillige Härte sei anzunehmen, wenn die Zahlung dem Betroffenen nicht wiedergutzumachende Schäden zufüge. Aus der Klagebegründung ergebe sich kein neuer Sachverhalt, der zu einer Änderung der bisherigen Rechtsauffassung der Beklagten führe. Die Beklagte empfahl bei Zahlungsschwierigkeiten, einen Antrag auf Ratenzahlung bei der zuständigen Krankenkasse zu stellen.
Mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 02.10.2019 erhob die Klägerin „gegen die Verweigerung der Aussetzung der Vollziehung“ Widerspruch.
Am 01.10.2019 erhob die Klägerin eine „Vollstreckungsabwehrklage“ zum SG (S 12 BA 3934/19). Am 10.10.2019 beantragte die Klägerin beim SG (S 12 BA 4036/19 ER), die aufschiebende Wirkung der Klage S 12 BA 2587/19 anzuordnen bzw festzustellen, dass die Klage aufschiebende Wirkung hat. Das SG stellte durch Beschluss vom 30.10.2019 fest, dass die Klage S 12 BA 2587/19 gegen den Bescheid der Beklagten vom 11.01.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.05.2019 aufschiebende Wirkung habe. Auf die Beschwerde der Beklagten hob der Senat den Beschluss des SG auf und lehnte den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ab (Beschluss vom 09.01.2020, L 11 BA 4091/19 ER-B).
Den Widerspruch der Klägerin gegen das Schreiben vom 18.09.2019 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18.10.2019 als unzulässig zurück. Ein Widerspruch gegen die Entscheidung über die Aussetzung der Vollziehung sei unzulässig, da gegen eine solche Ent...