Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsarzt. Zulassungsentziehung bei Nichtmehrausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit wegen privater Verpflichtungen

 

Leitsatz (amtlich)

Einem Arzt kann die Zulassung entzogen werden, wenn er nicht mehr an der vertragsärztlichen Versorgung teilnimmt. Letzteres ist der Fall, wenn er wegen privater Verpflichtungen (Pflege seiner gelähmten Mutter), Depressionen, Erschöpfung und Angstzuständen nicht mehr in der Lage ist, einen geordneten Praxisbetrieb aufrecht zu erhalten, er also nicht mehr täglich in der Praxis ist, keine Arzthelferin beschäftigt, über Quartale hinweg nicht abrechnet, wochenlang eingehende Post nicht öffnet und nur 10 % des Fachgruppendurchschnitts an Patienten behandelt.

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 26.3.2009 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens, einschließlich der Kosten des Beigeladenen Nr. 2.

Der Streitwert wird auf 60.000 € festgesetzt.

 

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen eine Zulassungsentziehung.

Der 1946 geborene Kläger wurde mit Bescheid des ZA vom 30.10.1981 als Facharzt für Orthopädie mit Vertragsarztsitz in M.-F. zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen.

In den Quartalen 2/03 bis 1/05 behandelte der Kläger gesetzlich Versicherte in folgendem Umfang:

Quartal 

Kläger 

Fachgruppendurchschnitt

2/03

226

1541

3/03

200

1528

4/03

212

1585

1/04

142

1381

2/04

163

1424

3/04

152

1431

4/04

114

1457

1/05

139

1401

Für die Quartale 2/05 bis 4/05 und 1/06 reichte der Kläger bei der Beigeladenen Nr. 1 zunächst keine Abrechnungen ein. Da der Kläger auch auf wiederholte Anfragen zu seiner weiteren vertragsärztlichen Tätigkeit, zuletzt mit Schreiben vom 21.6.2006, nicht geantwortet hatte, wandte sich die Beigeladene Nr. 1 mit Schreiben vom 21.7.2006 an den ZA.

Der ZA wies den Kläger mit Schreiben vom 4.9.2006 und vom 6.10.2006 - unter Fristsetzung bis zum 25.10.2006 und Aufforderung zur Stellungnahme - darauf hin, dass ihm die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung entzogen werden kann, wenn er seine vertragsärztliche Tätigkeit nicht mehr ausübt. Der Kläger antwortete (auch hierauf) nicht.

Mit Beschluss vom 15.11.2006/Bescheid vom 16.01.2007 entzog der ZA dem Kläger die Zulassung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung zum 16.11.2006. Zur Begründung wurde ausgeführt, da der Kläger auf wiederholte Anfragen sowohl der Beigeladenen Nr. 1 als auch des ZA nicht reagiert habe, werde angenommen, dass er an einer weiteren vertragsärztlichen Tätigkeit nicht mehr interessiert sei.

Zur Begründung des dagegen eingelegten Widerspruchs trug der Kläger (u.a.) vor, die Zulassungsentziehung beruhe auf unzureichender Kenntnis und Missverständnissen des ZA im Hinblick auf seine familiäre Tragödie. Er bedauere die verspätete Einreichung der Quartalsabrechnungen, wodurch er sich selbst geschadet habe. Seit Januar 2001 pflege er seine Mutter nach deren erstem Schlaganfall; dadurch sei er erschöpft. Außerdem habe er Angstgefühle entwickelt. Er habe in den vergangenen Jahren keine wirkliche Hilfe für die Pflege seiner Mutter erhalten. Er werde mit dieser schicksalhaften Tragödie allein gelassen und versuche, den Spagat zwischen Praxistätigkeit, der nervlichen Belastung durch die Bürokratie und seiner gelähmten Mutter, mit der er in einer Wohnung zusammen lebe, zu bewältigen. Wegen der Versorgung seiner Mutter habe er sich selbst vernachlässigt und sei an einem Tief- und Wendepunkt seines Lebens angekommen. Neben der Pflegetätigkeit könne er seinen Verpflichtungen in der Praxis nicht hinreichend nachkommen. Hier türmten sich Berge ungeöffneter Post und er sei seit Jahren außer Stande, die Quartalsabrechnungen fristgerecht einzureichen. Die Gründe dafür habe er jeweils dargelegt und um Nachsicht wegen etwaiger bürokratischer Mehrbelastungen gebeten. Irgendwann habe er die Quartalsabrechnungen zum Selbstschutz (gar) nicht mehr eingereicht. Er wisse nicht mehr, wie ein Leben jenseits der Angst aussehe. Seine Lebensenergie fließe seit zwei Jahren wie aus einer Öffnung aus ihm heraus. Es gebe nur noch eine Richtung. Entgegen der Annahme des ZA übe er seine vertragsärztliche Tätigkeit jedoch unverändert aus.

Am 14.3.2007 wurde eine mündliche Verhandlung vor dem Beklagten durchgeführt, zu der der Kläger nicht erschien. Die Ladung war dem Kläger am 26.2.2007 (unter seiner Praxisanschrift) zugestellt worden; die Übergabe der Ladung in der Praxis des Klägers war nicht möglich, weshalb das Schriftstück in den zur Praxis gehörenden Briefkasten eingelegt wurde. Die mündliche Verhandlung wurde vertagt. Dem Kläger sollte Gelegenheit gegeben werden, seine persönlichen Probleme mit der Hilfe Dritter anzugehen.

Am 21.3.2007 fand ein Gespräch zwischen dem Kläger, Vertretern der Beigeladenen Nr. 1 und des Beklagten statt. Der Kläger gab u.a. an, seine persönliche Situation sei derzeit im Wesentlichen durch eine schwere Depression im Zusammenhang mit der Erkrankung seiner Mutter bestimmt. Er sei nicht in der Lage, ...

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