Entscheidungsstichwort (Thema)

Nachversicherung. unversorgtes Ausscheiden eines Mitglieds einer Glaubensgemeinschaft. Rechtslage bis 31.12.1991. kein Antragserfordernis. Einrede der Verjährung. unzulässige Rechtsausübung wegen Rechtsmissbrauchs

 

Leitsatz (amtlich)

1. Nach der bis zum 31.12.1991 geltenden Rechtslage war eine geistliche Genossenschaft beim Ausscheiden eines ihrer satzungsmäßigen Mitglieder aus der Gemeinschaft zur Nachversicherung verpflichtet, wenn die Tätigkeit des Mitglieds in der Glaubensgemeinschaft nicht der Versicherungspflicht nach § 9 AVG idF des Art 1 § 2 Nr 3 RRG v 16.10.1972 (BGBl I 1972, 1965) unterlegen hatte. Die Verpflichtung zur Nachversicherung hing bei einem Ausscheiden aus der Gemeinschaft in der Zeit vom 1.1.1973 bis zum 31.12.1991 nicht mehr - wie noch zuvor - von einem fristgebundenen Antrag ab.

2. Die Erhebung der Einrede der Verjährung des zur Nachversicherung verpflichteten Trägervereins (e. V.) ist nicht in jedem Fall als rechtsmissbräuchlich zu werten. Maßgebend sind die konkreten Umstände des Einzelfalles.

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 27.01.2015 sowie der Bescheid der Beklagten vom 12.03.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.08.2013 aufgehoben.

Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen trägt die Beklagte, einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Der Streitwert wird auf 5.000 € festgesetzt.

 

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Entrichtung von Nachversicherungsbeiträgen für den Zeitraum vom 01.05.1965 bis 30.09.1979 für die bei der Beklagten versicherte Beigeladene.

Der Kläger ist eine evangelische Freikirche pfingstlicher Prägung. Sein Hauptziel ist nach eigener Angaben die Mitarbeit am Aufbau der weltweiten Gemeinde Jesu Christi auf Erden. Er ist als eingetragener Verein (eV) mit Sitz in Stuttgart organisiert (Vereinsregister Stuttgart 1526). Die Verwaltung des Vereins befindet sich in B. Der Verein unterhält mehrere sog Glaubenshäuser, die ua der Förderung der christlichen Religion dienen, aber auch Erholungsgelegenheit bieten. Mit dem Glaubenshaus verbunden ist eine Missionsschule, die nach den früheren Satzungen des Vereins (zB Satzung idF vom 03.07.1970) den Orden der geistlichen Genossenschaft „Spätregen“ darstellte. Nach § 2 Abs 3 Nr 2 der Satzung idF vom 28.05.2012 bilden Personen, die ihrer christlichen Überzeugung und inneren Berufung folgen und in einem Glaubenshaus leben, eine auf Dauer angelegte ordensähnliche Glaubens- und Lebensgemeinschaft. Die Beigeladene war zu keinem Zeitpunkt Mitglied des eV.

Die 1950 geborene Beigeladene wurde am 01.05.1965 in das Glaubenshaus „Libanon“ in B. aufgenommen und absolvierte dort eine Ausbildung zur Missionsschwester. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat die Beigeladene erklärt, sie sei anschließend überwiegend im Haus Libanon tätig gewesen, aber auch mehrfach im Ausland zum Einsatz gekommen (16 Monate in Südafrika, jeweils mehrere Wochen in Holland und in der Schweiz).

Nach dem Ausscheiden aus der Glaubensgemeinschaft zum 30.09.1979 stellte der Kläger der Beigeladenen am 09.12.1980 eine Bescheinigung (Bl 129 Verwaltungsakte) und am 27.11.1981 ein Zeugnis (Bl 128 Verwaltungsakte) aus. Darin führt der Kläger aus, dass die Beigeladene nach ihrer fünfjährigen Ausbildung in der Missionsschule dem Missionswerk des Klägers ihre ganze Zeit und Kraft freiwillig und unentgeltlich zur Verfügung gestellt habe. Die Beigeladene sei nach der Ausbildung als Missionsschwester in verschiedenen Missionshäusern in Europa und Übersee zum Einsatz gekommen. Im Laufe der Jahre sei die Beigeladene besonders in der Hauswirtschaft, in der Küchenarbeit und im Schneiderhandwerk als Herrenschneiderin tätig gewesen.

Nach Austritt aus der Glaubensgemeinschaft war die Beigeladene zunächst als Hausfrau und Mutter tätig und arbeitete dann ab 1981 als Pflegehelferin. Auf ihren Rentenantrag vom 07.06.1991 (Angabe ua „vor 1.12.81 nicht vers.pfl. beschäftigt in der Spätregenmission B. tätig“, Bl 1 und 5 Verwaltungsakte) wurde der Beigeladenen von der Beklagten mit Rentenbescheid vom 30.07.1991 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Zeit beginnend am 01.06.1991 gewährt. Mit weiterem Bescheid vom 02.09.1992 wurde ein Anspruch der Beigeladenen auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit über den 30.09.1992 hinaus auf unbestimmte Dauer anerkannt.

Mit E-Mail vom 26.12.2012 an die Beklagte und Schreiben vom 30.12.2012 an den Kläger bat die Beigeladene für die Zeit ihres Aufenthalts in den Glaubenshäusern des Klägers vom 01.05.1965 bis 30.09.1979 um Nachzahlung von Rentenversicherungsbeiträgen.

Der Kläger lehnte diese Bitte mit Schreiben vom 10.01.2013 ab (Bl 170 Verwaltungsakte). Zur Begründung teilte er der Beigeladenen mit, dass nach intensiver Prüfung festgestellt worden sei, dass es sich bei den ausgeübten Tätigkeiten in den Glaubenshäusern des Klägers in dem oben genannten Zeitraum nicht um eine versicherungspflichtige Beschäftigung gehandelt habe, weshal...

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