Entscheidungsstichwort (Thema)
Überzahlung von Witwenrente auf Grund des Bezuges von Einkommen. Ermessensentscheidung des Rentenversicherungsträgers bei der Rückforderung. Begründung. Heilung
Leitsatz (amtlich)
Liegt keine erkennbare, nach § 45 SGB 10 aber erforderliche Ermessensentscheidung vor ("Ermessensnichtgebrauch"), lässt sich dieser Mangel nicht durch ein Nachschieben der Begründung gemäß § 41 Abs 2 SGB 10 heilen. Notwendig ist vielmehr eine neue Entscheidung, die den früheren Verwaltungsakt ersetzt und sämtliche Voraussetzungen der in Betracht kommenden Rechtsgrundlage im Zeitpunkt ihres Erlasses erfüllen muss, auch die Wahrung der Handlungsfrist des § 45 Abs 4 SGB 10.
Tenor
Der Bescheid vom 20. Januar 2006 wird aufgehoben.
Die Beklagte hat auch die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Berufungsverfahren zu erstatten.
Tatbestand
Umstritten ist noch, ob die Beklagte zu Recht die Bewilligung von Witwenrente für die Vergangenheit teilweise zurückgenommen und die Klägerin zur Erstattung eines überbezahlten Betrages verpflichtet hat.
Die am ... 1934 geborene Klägerin war mit dem am 2. Juni 1998 verstorbenen Versicherten verheiratet. Sie bezieht aus eigener Versicherung seit 1. Januar 1996 eine Rente und war in den Zeiträumen vom 3. November 1996 bis 19. Februar 2000 sowie vom 19. Mai 2000 bis 31. Dezember 2000 bei der Firma A. Dienstleistungen GmbH (Fa. A.) und vom 1. Juli bis 31. Dezember 2002 bei der Firma R. Gebäudereinigung (Fa. R.) geringfügig beschäftigt. Hinsichtlich der von der Klägerin erzielten Einkünfte wird auf die in den Akten der Beklagten enthaltenen Arbeitgeberauskünfte verwiesen.
Auf den Antrag der Klägerin vom 2. Juli 1998, in welchem diese den Bezug von Arbeitsentgelt aus abhängiger Beschäftigung ab Beginn der Rente wegen Todes bzw. im letzten Kalenderjahr davor verneinte, gewährte die Beklagte mit Bescheid vom 7. August 1998 ab 1. Juli 1998 eine große Witwenrente in Höhe von monatlich 547,19 DM.
Nachdem die Beklagte im September 2002 von der Ausübung einer geringfügigen Beschäftigung der Klägerin Kenntnis erlangt und im Jahr 2003 und 2004 Auskünfte der Fa. A. sowie der Fa. R. zu den Einkünften der Klägerin eingeholt und diese angehört hatte, berechnete sie mit Bescheid vom 4. Mai 2004 und Widerspruchsbescheid vom 4. August 2004 die Rente unter Berücksichtigung des Einkommens für die Zeit ab 1. Juli neu, nahm den Rentenbescheid vom 7. August 1998 insoweit zurück und forderte von der Klägerin einen in der Zeit bis 31. Mai 2004 überzahlten Betrag in Höhe von 1.762,56 € zurück. Wegen der Einzelheiten der Berechnung und der Begründung wird auf den Bescheid vom 4. Mai 2004 und den Widerspruchsbescheid vom 4. August 2004 verwiesen.
Deswegen hat die Klägerin am 1. September 2004 Klage beim Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben, das die Bescheide mit Urteil vom 16. November 2005 für die Zeit vom 1. Juli 1998 bis 31. Mai 2004 bei Klageabweisung im Übrigen aufgehoben hat. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die - näher dargelegten - Voraussetzungen des § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) seien zwar erfüllt, doch habe die Beklagte das von ihr auszuübende Ermessen nicht ausgeübt. Weder dem angefochtenen Bescheid, noch dem Widerspruchsbescheid lasse sich eine Ermessensentscheidung entnehmen. Außerdem liege auch kein Fall einer Ermessensreduzierung auf null vor.
Gegen das am 28. November 2005 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 7. Dezember 2005 Berufung eingelegt und angekündigt, “die bisher unterbliebene Ermessensentscheidung nachzuholen„. Mit Bescheid vom 20. Januar 2006 hat sie entschieden, “im Rahmen der gebotenen Ermessensabwägung bei der Frage, mit welcher Wirkung der Bescheid vom 4. Mai 2004 zurückzunehmen„ sei, sei das Interesse der Versichertengemeinschaft an der Rückzahlung höher anzusetzen, als das Einzelinteresse der Klägerin am Fortbestand des Bescheids, da diese zumindest grob fahrlässig den Bezug von Arbeitsentgelt nicht mitgeteilt habe. Besondere Gründe, das eingeräumte Ermessen in anderer Weise auszuüben, seien nach Aktenlage nicht ersichtlich. Daher sei der Bescheid vom 7. August 1998 mit Wirkung vom 1. Juli 1998 zurückzunehmen. Der Rückforderungsbescheid vom 4. Mai 2004 könne somit nicht zurückgenommen werden. Dieser Bescheid werde Gegenstand des Berufungsverfahrens. Ergänzend trägt die Beklagte vor, der Bescheid vom 20. Januar 2004 ersetze den Bescheid vom 4. Mai 2004 nicht, sondern ergänze diesen lediglich um die Ermessenserwägungen. Da sich der ursprüngliche Bescheid nicht nach § 39 Abs. 2 SGB X erledigt habe, sei auch die bei einer Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit zu beachtende Jahresfrist eingehalten.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Bescheid vom 20. Januar 2006 aufzuheben .
Die Beklagte beantragt sachdienlich gefasst,
die Klage abzuweisen.
Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweite...