Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht. Merkzeichen B. notwendige Begleitperson für einen gehörlosen Menschen. Hilfebedarf beim Ein- und Aussteigen oder während der Fahrt. Erfordernis von körperlicher Unterstützung. Erleichterung für Kommunikation und Orientierung nicht ohne Weiteres ausreichend. Regelmäßigkeit. Verspätungen und Fahrplanänderungen nur Ausnahmefälle. keine Berücksichtigung von fehlender Anzeigetechnik am Bahnhof
Leitsatz (amtlich)
Zweck des Merkzeichens "B" ist es, die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel solchen Personen zu erschließen, die dazu ohne fremde Hilfe ansonsten aufgrund ihrer Behinderung überhaupt nicht in der Lage wären, was vor allem durch das Erfordernis der Regelmäßigkeit der notwendigen Hilfe und überdies durch das Abstellen auf den Ein- und Aussteigevorgang und die Fahrt selbst (also insbesondere auf körperliche Unterstützung wie zB Festhalten, Heben oder Führen) zum Ausdruck kommt. Eine bloße Erleichterung für Kommunikation und Orientierung durch eine Begleitperson macht diese bei fehlender nennenswerter Störung der Ausgleichsfunktionen (insbesondere des Sehsinns) eines gehörlosen Menschen hingegen nicht erforderlich.
Orientierungssatz
Dabei kann dahinstehen, inwieweit konkrete Bahnhöfe mit welcher bestimmten Anzeigetechnik ausgerüstet sind und inwieweit diese durchgängig funktionstüchtig ist, denn da es auf die regelmäßige Erforderlichkeit fremder Hilfe beim Ein- und Aussteigen oder während der Fahrt des Verkehrsmittels ankommt, ist die Ausrüstung mit Informationssystemen auf dem Bahnhof ebenso ohne Belang wie dessen bauliche Beschaffenheit insgesamt (vgl LSG Stuttgart vom 27.8.2015 - L 6 SB 1430/15).
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 30. September 2016 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Zuerkennung (behördliche Feststellung) der gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs (Merkzeichens) “B„ (Berechtigung für eine ständige Begleitung).
Die 1966 geborene Klägerin deutscher Staatsangehörigkeit wohnt im Inland. Sie ist in zweiter Ehe verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder. Bei ihr besteht eine angeborene beiderseitige Taubheit mit einer Sprachentwicklungsstörung. Sie besuchte die Gehörlosenabteilung der Staatlichen Schule für Gehörlose und Schwerhörige in S. und erwarb den Hauptschulabschluss. Seit Herbst 2012 arbeitet die gelernte Bauzeichnerin in Teilzeit 5,5 Stunden pro Woche im Qualitätsmanagement auf einem Arbeitsplatz, zu dem sie 15 km mit Bus/Bahn unterwegs ist.
Aufgrund der angeborenen beiderseitigen Taubheit mit Sprachentwicklungsstörung stellte das damalige Versorgungsamt F. bei ihr mit Bescheid vom 11. Juli 1977 einen GdB (vormals Minderung der Erwerbsfähigkeit) von 100 sowie die Merkzeichen “G„ (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) und “H„ (Hilflosigkeit) fest. Mit Verfügung vom 13. August 1979 erkannte es zudem das Merkzeichen “B„ zu und mit Verfügung vom 2. Februar 1983 das Merkzeichen “RF„ (Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht), während das Merkzeichen “H„ ab dann wieder entfiel. Mit Bescheid vom 19. Januar 1984 entzog das damalige Versorgungsamt F. das Merkzeichen “G„ und mit Verfügung vom 21. Oktober 1985 entfiel auch das Merkzeichen “B„ wieder. Mit Bescheid vom 6. Dezember 2001 erkannte das damalige Versorgungsamt F. der Klägerin das ab 1. Juli 2001 eingeführte Merkzeichen “Gl„ (Gehörlosigkeit) zu. Mithin sind bei der Klägerin gegenwärtig ein GdB von 100 sowie die Merkzeichen “Gl„ und “RF„ festgestellt.
Am 17. Juli 2014 beantragte die Klägerin die Zuerkennung des Merkzeichens “B„. Sie führte aus, dass ihr Mann oder eines ihrer Familienmitglieder sie ständig zu wichtigen Terminen begleite. Eine Verständigung mit Ärzten und Amtspersonal sei durch ihre Gehörlosigkeit und verminderten Wortschatz erheblich erschwert. Eine Berechtigung für eine Begleitperson sei ihr dabei eine sehr große Hilfe. Da sie kein Auto besitze, lege sie ihre Wege mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurück. Eine volle Verständigung bei Verkehrsproblemen sei nicht möglich. Durchsagen an Lautsprechern könne sie nicht hören. Befragungen beim Personal gestalteten sich äußerst schwierig und hätten sehr oft Missverständnisse zur Folge.
Für den versorgungsärztlichen Dienst wertete Dr. K. den eingereichten Entlassungsbericht der Fachklinik B. vom 26. Juni 2012 über eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme wegen der Asthmaerkrankung der Klägerin vom 29. Mai 2012 bis zum 19. Juni 2012 aus, wonach bei entsprechender Indikation die Wiederholung der stationären Behandlung empfohlen und in diesem Fall eine Begleitperson zur Verständigung angeraten werde. Während der Maßnahme habe die Klägerin regelmäßig an der medizinischen Asthmaschulung und an einem Vortrag teilgenommen sowie zusätzlich das Angebot zur individuellen Ernährungsberatung in einem Einzelgespräch wahrgenommen. Im von der H...