Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit aus der gesetzlichen Rentenversicherung. besondere versicherungsrechtliche Voraussetzung. Drei-Fünftel-Belegung. Verlängerungstatbestand. Anrechnungszeit. Arbeitslosigkeit. Arbeitsunfähigkeit
Leitsatz (amtlich)
Ein Verlängerungstatbestand nach§ 43 Abs 4 Nr 3 iVm§ 58 Abs 1 S 1 Nr 3 SGB VI setzt neben der Beschäftigungslosigkeit und der Arbeitslosmeldung auch voraus, dass der Betroffene tatsächlich auch eine versicherungspflichtige Beschäftigung sucht und den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung steht (sog subjektive Verfügbarkeit), mithin nicht lediglich zur Aufrechterhaltung von Anwartschaftszeiten als arbeitsuchend geführt wird.
Orientierungssatz
1. Zum Leitsatz vglBSG vom 11.3.2004 - B 13 RJ 16/03 R = BSGE 92, 241 = SozR 4-2600 § 58 Nr 3 sowieLSG Hamburg vom 29.8.2018 - L 2 AL 20/18 und vom 18.6.2013 - L 2 AL 60/10 .
2. Der Begriff der durch Krankheit bedingten Arbeitsunfähigkeit in § 58 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB 6 entspricht demjenigen der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 44 Abs 1 SGB 5. Er knüpft an die zuletzt ausgeübte Beschäftigung/Erwerbstätigkeit an. Der krankenversicherungsrechtliche "Berufsschutz" und damit eine berücksichtigungsfähige Anrechnungszeit iS des § 58 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB 6 endet daher (spätestens) drei Jahre nach Eintritt der an einen konkreten Beruf anknüpfenden Arbeitsunfähigkeit (vglBSG vom 25.2.2010 - B 13 R 116/08 R = SozR 4-2600 § 58 Nr 11, vom 17.2.2005 - B 13 RJ 1/04 R und vom 25.2.2004 - B 5 RJ 30/02 R = BSGE 92, 199 = SozR 4-2600 § 43 Nr 2 sowieLSG Berlin-Potsdam vom 30.11.2022 - L 22 R 410/17 ).
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 21.01.2020 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten steht die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung im Streit.
Der 1968 geborene Kläger absolvierte - seinen eigenen Angaben nach - vom 01.09.1986 bis 30.06.1988 eine Ausbildung - jedenfalls - zum Rohrinstallateur und war anschließend als Rohrinstallateur, Einrichter in der Produktion, Sondergaslogistik und ab 2012 als technischer Zeichner versicherungspflichtig beschäftigt. Zum 31.01.2016 gab er diese Tätigkeit auf - seither nahm er auch keine berufliche Tätigkeit mehr auf - und bezog anschließend bis 18.07.2016 und vom 16.10.2017 bis 14.10.2018 Leistungen der Bundesagentur für Arbeit (Arbeitslosengeld I) und vom 19.07.2016 bis 15.10.2017 Krankengeld. Ab dem 01.02.2019 bezog er - mit Unterbrechungen - bis zum 31.05.2021 (siehe Auskünfte des zuständigen Jobcenters H1 vom 11.08.2022, Bl. 121 Senatsakte, und 01.02.2024, Bl. 270 Senatsakte) Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (Arbeitslosengeld II). Anschließend hat er - jedenfalls bis zur erneuten Antragstellung am 25.01.2024 (s. Bl. 274 Senatsakte) - weder Arbeitslosengeld II noch andere staatliche Leistungen (mehr) bezogen. Dennoch hat die Beklagte mit bestandskräftigem Vormerkungsbescheid vom 29.06.2023 (Bl. 286 f. Senatsakte) auch im Zeitraum 01.04.2021 bis 31.12.2021 Zeiten des Bezugs von Arbeitslosengeld II verbindlich festgestellt.
Am 29.06.2017 beantragte er die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung und gab zur Begründung u.a. an, an psychischen Beschwerden (u.a. Depressionen, Ängste, Schwindel, Schmerzen am ganzen Körper, Kopfschmerzen), stark schwankendem Blutdruck und Problemen am Sprunggelenk zu leiden. Die Beklagte zog medizinische Befundunterlagen der den Kläger behandelnden Ärzte bei und ließ ihn durch die P1 (M/12 VA-ÄT, Untersuchungstag: 29.08.2017) und den S1 (M/13 VA, Untersuchungstag: 29.08.2017) medizinisch begutachten. S1 diagnostizierte u.a. Wirbelsäulenschmerzen, lumbal verstärkt, ohne radikuläre Symptomatik, Schulterbeschwerden links mit Funktionseinschränkungen und leichter Impingement-Symptomatik, eine Osteochondrosis dissecans des linken Sprunggelenkes mit Funktionseinschränkungen und eine bekannte Neuritis vestibularis mit Gleichgewichtsstörungen und schätzte die quantitative Leistungsfähigkeit des Klägers für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auf arbeitstäglich mindestens sechs Stunden ein. P1 wies auf Aggravationstendenzen beim Kläger hin, diagnostizierte eine Anpassungsstörung und bestätigte die Leistungseinschätzung des S1.
Mit Bescheid vom 19.09.2017 lehnte die Beklagte die beantragte Rente wegen Erwerbsminderung mangels Vorliegens der medizinischen Voraussetzungen ab. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies sie nach Beiziehung weiterer medizinischer Unterlagen (u.a. Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit vom 27.03.2018) mit Widerspruchsbescheid vom 20.06.2018 zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 16.07.2018 Klage beim Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben. Das SG hat die den Kläger behandelnden Ärzte (schriftlich) als sachverständige Zeugen befragt. B1 hat mitgeteilt (Bl. 44 ff. SG-Akte), der Kläger leid...